Im Banne des stuermischen Eroberers
Bastard in ganz Nordengland? Einen Kerl, dessen Untergebene nach Tiernay gekrochen kamen, um Helen um Hilfe anzuflehen?
Als sie merkte, dass sie sich am Arm kratzte, ließ sie es sofort sein und musterte die hässlichen roten Pusteln auf ihrer Haut. Hässlich waren sie in der Tat. Sie musste schrecklich aussehen. Zum Fürchten. Der Gedanke war niederschmetternd. Helen hatte sich nie für eitel gehalten und das Äußere eines Menschen stets als nebensächlich erachtet. Aber jetzt gerade fühlte sie sich entsetzlich. Hässlich und zerschunden ... und hundeelend. Etwas lief ihr über die Wange, und als sie die Hand hob, spürte sie Nässe. Tränen. Sie weinte. Oh, na wunderbar.
Unglücklich schniefte sie und zuckte zusammen, als sie dabei ihren eigenen Gestank einatmete. Die gesamte letzte Nacht hindurch war sie gezwungen gewesen, durch den Mund Luft zu holen und hatte dadurch nicht ein Auge zugetan. Zunächst hatte sie den Geruch gar nicht wahrgenommen, doch nach einer Weile schien er sich verändert zu haben, sodass sie mit jedem Atemzug eine ganz neue Form von ekelhafter Ausdünstung hatte ertragen müssen. Sie hatte dem Gestank nur dadurch entgehen können, dass sie sich in das Fell gewickelt hatte. Dessen Wärme hatte jedoch wiederum den Ausschlag aufblühen lassen und sie vor lauter Jucken beinahe in den Wahnsinn getrieben. Keines von beidem - weder der Übelkeit erregende Ruch noch die juckenden Pusteln - hatten sich als dem Schlaf dienlich erwiesen. Das erste Dämmerlicht hatte bereits den Himmel erhellt, als Helen endlich aus purer Erschöpfung in den Schlummer geglitten war.
Schon wenige Augenblicke später war sie von diesem Rindvieh geweckt worden, das sie tags zuvor geheiratet hatte - diesem Tölpel, der so unverfroren war, sie verquollen und stinkend zu nennen. Helens Tränen wurden zu einem steten Strom. Abermals schniefte sie, doch dieses Mal drang der Geruch nicht zu ihr durch, weil ihre Nase vom Weinen verstopft war. Was wohl beweist, dass tatsächlich alles auch sein Gutes hat, dachte sie unfroh, ehe sie sich in den Schlaf schluchzte.
„Die Besitzung ist größer, als ich gedacht hätte.“
Hethe hatte den Blick über die Landschaft schweifen lassen, die sie zu Pferd durchquerten, und schaute nun William an.
„Aye“, pflichtete der ihm leise bei.
Die beiden Männer waren ausgeritten, um Tiernay zu erkunden, und befanden sich nun auf dem Rückweg. Sie hatten sich einen guten Überblick über das Lehen verschafft, auch wenn sie nicht alles hatten in Augenschein nehmen können.
Lady Helen hatte die Ländereien meisterhaft verwaltet. Sie wusste, was sie tat, und machte ihre Sache großartig. Hethe sah zu Boswell hinüber, der in Lady Helens Diensten stand und den er auserkoren hatte, sie zu führen. Der Mann hatte sich als äußerst kenntnisreich erwiesen. Auch war er während des gesamten Ritts ausnehmend höflich gewesen, wenngleich er Groll und Feindseligkeit nicht gänzlich hatte verhehlen können. Das war auch bei den meisten der Leibeigenen der Fall gewesen, denen sie heute begegnet waren. Allerdings hatten sie nur wenige getroffen. Während Lady
Helen ihn in jede Kate mit einem Säugling geschleppt hatte und die Menschen, die sie ihm vorgestellt hatte, zwar schweigsam, aber nicht unverhohlen feindselig gewesen waren, schien Boswell sie vorsätzlich von Tiernays Bewohnern ferngehalten zu haben. Und die wenigen, die sie heute kennengelernt hatten, waren mürrisch und verbittert gewesen.
Dass seine neuen Untergebenen ihm ihr Misstrauen offen zeigten, gab Hethe zu denken. Gemeinhin bewegte er sich auf dem Schlachtfeld im Kreise seiner Krieger, und ein jeder von ihnen brachte ihm Vertrauen und Respekt entgegen. Nicht nur das - sie alle schätzten ihn. Er konnte sich keinen Reim auf den Argwohn machen und hatte auch keine Lust, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Gern hätte er dieses Gebaren Lady Helen angelastet, aber da ihre Gegenwart am Tag ihres gemeinsamen Ausflugs eben diese Feindseligkeit offenbar unterbunden hatte, wusste er nicht recht, was er von der Sache halten sollte.
„Du hast lange geschlafen heute.“ Sein Vertrauter sprach mit einem spöttischen Unterton, und Hethe biss die Zähne so fest zusammen, dass er sie zu zermürben drohte. Er war nicht etwa auf William wütend, sondern verspürte schlicht den Drang, irgendetwas zu zertrümmern, wann immer er an die vergangene Nacht -seine Hochzeitsnacht - gemahnt wurde. Gott, welch ein Schlag!
Dabei hatte es so schlecht gar
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