Im Bannkreis Des Mondes
Wunsch nach. »Abigail.«
Sie beobachtete seine Lippen, wie sie die Silben formten, die ihren Namen ergaben. Aber kein Laut durchdrang den Kokon aus Stille, in dem sie lebte. Sie erstickte fast an diesem Gefühl von Verlassensein. »Bitte, noch mal?«, flehte sie schwach.
Talorcs Brauen zogen sich zusammen. In seinen so faszinierend blauen Augen las sie eine Frage.
Darauf konnte sie ihm nicht antworten. Sie flehte bloß erneut: »Bitte!« Obwohl jedes Wort, das sie sagte, die Hoffnung begrub, die so kurz nur hatte aufscheinen dürfen. Einen winzigen Moment lang hatte sie an ein Wunder geglaubt.
Weil sie keines ihrer eigenen Worte hören konnte und sich jetzt fragte, ob sie tatsächlich ihren Namen gehört hatte. Aber wenn nicht, was war das dann gewesen? Sie war schon so lange von der Stille umfangen, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, wie es war, wenn um sie Geräusche erklangen. Sie kämpfte gegen das Vergessen an, aber mit jedem Jahr wurde sie tiefer in eine Welt gezogen, die sich anfühlte, als sei sie schon immer still gewesen.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte er sie.
Und sie las die Frage von seinen Lippen. Sah die Besorgnis, die seine Miene überschattete. Aber sie hörte ihn nicht.
Was sollte sie darauf erwidern?
Sie hatten eine Leidenschaft geteilt, die mehr war, als sie sich je vorzustellen gewagt hatte. Und jetzt sollte ihre lebhafte Fantasie das zerstören? Es ging ihr nicht gut, aber daran war niemand schuld außer sie selbst.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, zog sein Gesicht zu sich herunter und küsste ihn. »Wie soll es mir nicht gutgehen?«
Ja, in der Tat, wie sollte es ihr nicht gutgehen?
Aber er spielte mit. Er erwiderte ihren Kuss mit einer Zärtlichkeit und einer Leidenschaft, die den Schmerz ihrer Täuschung vertrieben.
In dieser Nacht nahm er sie nicht mit in die heiße Quelle, um ihren Körper darin zu baden. Er entführte sie erneut auf eine sinnliche Reise, die diesmal nicht mit irgendwelchen unerklärlichen Erfahrungen endete. Danach küsste er sie, bis sie in seinen Armen einschlief.
Talorc wachte auf. Seine Arme waren schützend um den Leib seiner Gefährtin gelegt. Sie war nicht nur sein Engel, wie er sie zu Beginn aus einer Laune heraus genannt hatte, sondern seine wahre und geheiligte Gefährtin. Wenn er dem Beweis glauben konnte, den sein Verstand und seine Sinne ihm lieferten. Aber wie war das möglich?
Die Argumente, die dagegen sprachen, auf diese Art eine wahre Gefährtin zu finden, galten noch genauso wie am Vortag. Aber keines dieser Argumente zählte noch angesichts dieser einen, nicht zu leugnenden Tatsache: Er hatte ihre Stimme in seinem Kopf gehört. Sie waren fähig, in Gedanken miteinander zu reden. Das konnten nicht alle wahren Gefährten, doch war es ein unbestreitbares Zeichen, dass ihre Verbindung gesegnet war.
Das hieß aber auch, dass es ihnen bis zu ihrem Lebensende nicht möglich war, sich mit anderen Partnern zu vereinen. Er hatte zwar nicht vorgehabt, das zu tun, zumal die Sinclairs – und unter ihnen besonders jene, die zu den Chrechte gehörten – dem körperlichen Akt der Vereinigung eine große Bedeutung beimaßen. Die meisten Mitglieder des Clans, seien es Krieger oder Frauen, glaubten, es handle sich um einen heiligen Bund, den man nicht brechen dürfe.
Und noch viel wichtiger war, dass Abigail jetzt, da sie durch den heiligen Bund der Chrechte miteinander verbunden waren, Kinder von Talorc empfangen konnte. Und es bestand die große Wahrscheinlichkeit, dass dies tatsächlich geschah. Was Talorc noch in der Nacht zuvor für unmöglich gehalten hatte, könnte nun Wirklichkeit werden. Und war er dann erst mit Chrechtenachkommen gesegnet, könnte er sogar seine Wolfsnatur an seine Kinder weitergeben.
Dieser Gedanke ließ ihn voller Freude heulen. Doch in dieser Freude schwang auch eine gewissen Melancholie mit.
Er konnte Abigail nicht die Wahrheit über seine wahre Natur sagen. Das Risiko, dass sie Außenstehenden die Geheimnisse der Chrechte enthüllte, war zu groß. Das jedoch bedeutete, dass er einige der Vorteile ihrer Verbindung nicht nutzen konnte, wie zum Beispiel in Gedanken mit ihr sprechen. Da er schon vor einer ganzen Weile akzeptiert hatte, vielleicht niemals seine Seelengefährtin zu finden, sollte ihn diese Einschränkung eigentlich nicht stören. Doch so war es nicht.
Weil er jetzt wusste, welcher gedanklichen Intimität sie fähig waren, und er sehnte sich danach, dieses uralte Chrechteritual mit ihr zu nutzen.
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