Im Bannkreis Des Mondes
als liebevoll bezeichnen konnte. Niall schien das nicht aufzufallen; er war zu sehr damit beschäftigt, seine Freunde mit seinen Blicken einzuschüchtern.
Abigail schüttelte den Kopf und gab den Versuch auf, den Gesprächen um sie herum zu folgen. Sie konnte nur die Lippen einiger Leute sehen, und noch hatte sie nicht genug Erfahrung damit, ihnen beim Sprechen zuzusehen, um mehr als jedes zweite Wort richtig aufnehmen zu können. Auch Talorc wandte ihr im Moment den Rücken zu, doch als alle Anwesenden ihre Blicke auf Abigail richteten, vermutete sie, er habe etwas über sie gesagt.
Sie geriet in Panik und blickte Niall an. »Was hat er gesagt? Ich habe nicht aufgepasst.«
Niall sah sie erstaunt an, aber er antwortete ohne Zögern. »Unser Laird hat Euch als sein Eheweib vorgestellt. Den Soldaten und den Clanmitgliedern ist es jetzt erlaubt, mit Euch zu reden.«
»Ihr meint, vorher war es ihnen nicht gestattet?«
»Ist Euch nicht aufgefallen, dass keiner der Soldaten auf dem Weg nach Norden das Wort an Euch gerichtet hat?«
»Ich dachte, sie sind vielleicht schüchtern.« Oder dass sie Abigail nicht mochten, weil sie Engländerin war. »Ihr habt mit mir geredet.«
»Mir hat mein Laird erlaubt, mit Euch zu reden.«
»Puh. Sybil würde einen Wutanfall bekommen, wenn mein Vater glaubte, er könne bestimmen, mit wem sie reden dürfe und mit wem nicht.«
»Soll das heißen, du willst auch so einen Anfall bekommen?«, fragte Talorc. Unbemerkt war er zu ihnen getreten.
Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn an. »Überhaupt nicht.« Wenn er wüsste, wie viel einfacher er ihr Leben mit dieser Regelung machte. Je weniger Leute sie direkt ansprachen, umso geringer war die Chance, dass ihr Geheimnis enthüllt wurde.
»Gut.« Er streckte ihr die Arme entgegen, um ihr vom Pferd zu helfen. »Komm.«
Sie zögerte nicht, glitt vom Rücken der weißen Stute und wurde von den starken Armen ihres Mannes umfangen. Er stellte sie vor sich auf den Boden und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich habe euch bereits meine Frau vorgestellt. Und nun werde ich euch mitteilen, dass Abigail von den Sinclairs eure neue Lady ist.«
Die Überraschung war der Menge anzumerken, obgleich die vielen Menschen kaum erstaunter waren als sie selbst. Es musste sich wohl um eine besondere Auszeichnung handeln, das spürte Abigail. Talorc sagte seinen Leuten auf diese Weise, dass er von ihnen erwartete, Abigail als eine der Ihren zu akzeptieren.
Wie erstaunlich …
Sie wusste, dass er für Emily nichts dergleichen getan hatte. Ihrer Schwester war bei den Sinclairs nur Hass entgegengeschlagen.
Ein alter Mann tauchte aus der Menge auf. Sein runzliges Gesicht wirkte feindselig. »Du bittest uns, dieser Sassenach unsere Treue zu schwören?«
»Nein.«
Abigail spürte, wie ihr Herz sank. Hatte sie seine Worte falsch verstanden?
»Ich bitte euch nicht darum. Ich verlange es. Und es ist euer gutes Recht, mich zum Kampf zu fordern, falls einer sich weigert, ihr die Treue zu schwören. Ihr könnt aber sicher sein, dass ich den leisesten Anflug von Zweifel an meiner Gefährtin als Herausforderung meiner Stellung als Laird begreifen werde.«
Der alte Mann trat wieder zurück. Die Worte seines Anführers hatten ihn sichtlich beeindruckt.
Abigail hatte das Gefühl zu schwanken. Talorc hatte vor allen verkündet, dass er sie als seine Gefährtin, seine Freundin betrachtete. Wärme durchströmte sie, doch zugleich verspürte sie die Schuldgefühle, die sie bisher tief in sich vergraben hatte. Schuldgefühle, die sie hegte, seit sie begonnen hatte, ihre Taubheit vor den Mitmenschen zu verbergen.
Sie wollte ihren Mann nicht betrügen. Aber sie fürchtete sich entsetzlich davor, wie er auf die Wahrheit reagierte, die sie so sorgsam vor ihm verbarg. Selbst jetzt schwieg sie. Ursprünglich hatte ihr Plan so ausgesehen, ihm ihr Gebrechen zu offenbaren, sobald sie die Highlands erreichten. Dann hätte Talorc sie zu ihrer Schwester Emily schicken können, damit sie bei den Balmorals lebte. Das war ihr Ziel gewesen, und mit diesem Ziel vor Augen wäre es ihr leichtgefallen, ihm die Wahrheit über ihre Gehörlosigkeit zu sagen.
Zumindest hatte sie das geglaubt. Aber jetzt schien es schier unmöglich zu sein. Erneut erwachte ihre Hoffnung, dass es bei den Sinclairs vielleicht doch einen Platz für sie gab. Einen Ort, an den sie gehörte. Und diese Hoffnung wollte sie nicht aufgeben.
Kapitel 11
D er rothaarige Soldat, den Abigail schon vorhin bemerkt
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