Im Bannkreis Des Mondes
getrieben, den Mann, den sie liebte, nicht allein zurückzulassen. Sie wendete das Pferd in die Richtung des undurchdringlichen Waldes, aus der der Keiler gekommen sein musste.
»Abigail! Reite zurück zur Burg!«, forderte Talorcs Stimme in ihrem Kopf.
»Ich werde dich nicht im Stich lassen«, sagte sie in Gedanken. Es fühlte sich irgendwie verrückt an, der imaginären Stimme zu antworten.
»Gehorche mir.« Die Stimme hatte noch nie so barsch geklungen.
Aber sie war nicht real. Und egal wie beharrlich sie klang, Abigail durfte nicht auf die Stimme hören. Sie würde Talorc nicht allein zurücklassen. Sie umkreiste die kämpfenden Tiere und behielt sie dabei ständig im Blick, falls sie das Interesse aneinander verloren und stattdessen sie angriffen.
Blut spritzte auf, als der Wolf die Kehle des Ebers zerbiss. Dann warf die riesige graue Bestie den Kopf zurück und stieß ein Heulen aus. Himmel, langsam wurde sie wirklich verrückt. Sie verspürte den wahnsinnigen, unwiderstehlichen Drang, das Pferd zu zügeln und zu dem Wolf zu gehen. Sie wollte ihn loben, weil er so tapfer gekämpft hatte.
Das Tier drehte den Kopf und blickte sie an. Sie zügelte das Pferd und bewies damit einmal mehr, dass sie nun vollends den Verstand verloren hatte. Der blutüberströmte Wolf und sie blickten einander an. Hätte sie nicht gewusst, dass das absolut unmöglich war, hätte sie gedacht, der Wolf blicke sie an, als gehöre sie ihm. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn …
Ohne Vorwarnung wirbelte der Wolf herum und lief in den Wald. Ängstlich, aber trotzdem neugierig, trieb Abigail den Hengst an, dem Wolf zu folgen.
Sie waren erst wenige Schritte weit gekommen, als Talorc aus dem Wald trat. Er war blutüberströmt. Das erklärte natürlich, wo ihr Mann die ganze Zeit gewesen war. Vermutlich hatte er gegen einen zweiten Eber gekämpft. Guaire hatte ihr erzählt, die Wildschweine mit ihren tödlichen Hauern seien oft in Rotten unterwegs.
Talorc hatte sie beschützt, und wie schon der riesige Wolf hatte auch er seinen Kampf gewonnen. Er warf ihr einen undurchdringlichen Blick zu, ehe er sich abwandte und noch einmal zum See ging.
Er kam erst wieder aus dem Wasser, nachdem er alles Blut abgewaschen hatte.
In der Zwischenzeit war es Abigail irgendwie gelungen, ihr Plaid richtig zu ordnen. Talorc schwieg, während er seine Kleidung anlegte.
»Du bist nicht verletzt?«, fragte sie besorgt. Sie hatte keine Verletzung gesehen, aber sie war nicht sicher.
Seine Kieferpartie spannte sich an, und er schüttelte den Kopf.
»Hast du den Wolf gesehen? Ich glaube, das Tier hat mir das Leben gerettet.« Sie biss sich auf die Lippen. »Du hast mich auch beschützt, keine Frage. Du warst bestimmt mit deinem eigenen Kampf beschäftigt, als ein zweiter Eber auf die Lichtung brach.«
»Ein zweiter Eber?«
Sie nickte und zeigte auf den blutüberströmten Kadaver. »Da drüben liegt er.«
Talorc starrte sie an. Er sagte nichts, aber sie spürte seine Anspannung.
Sie hatte viele Jahre in der Stille verbracht. Aber sein Schweigen bedrückte sie. »Ich muss wohl meine Meinung über Wölfe überdenken. Niall hat mir erzählt, der graue Wolf, dem ich bei den heißen Quellen begegnet bin, würde mir niemals wehtun. Vielleicht denkst du, dass ich verrückt bin, aber ich glaube, es war derselbe Wolf, der dir heute geholfen hat, mein Leben zu retten.«
»Das war er.«
»Du kennst den Wolf also auch? Ist er so etwas wie ein Talisman für den Clan?«
»Ein Talisman? Nein.«
»Aber er ist ein Freund des Clans.«
»So kann man es auch sehen.«
Sie wünschte, ihr Ehemann würde sie nicht so streng ansehen. Sie nickte. »Was hat den Eber zu seinem Angriff verleitet?«
»Die Wildschweine haben gerade Paarungszeit. Unsere Gegenwart könnte ihnen als Grund genügen.«
»Oh.«
Er drehte sich um und ging zu seinem Pferd. Abigail folgte ihm, aber sie war nicht sicher, was mit ihm los war. Sie waren so glücklich gewesen, ehe die Keiler angegriffen hatten. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber Talorc wirkte erzürnt. Nicht sehr, doch sie spürte seine Wut, die unter der Oberfläche köchelte. Aber Abigail wusste beim besten Willen nicht, warum er so wütend war.
Etwa weil er dachte, er hätte sie nicht so beschützt, wie er sollte? Wenn der graue Wolf nicht aufgetaucht wäre, hätte der Eber sie vielleicht erwischt. Talorc war kein Mann, der sich auf andere verließ, schon gar nicht auf ein wildes Tier. Er verhielt sich oft so, als glaubte er,
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