Im Bannkreis Des Mondes
von Abigail ab, damit sie seine Lippen nicht sehen konnte, und funkelte seinen Ratgeber an. »Sie ist meine Frau.«
»Dann ist dir die Sicherheit des Clans also egal?«
»Nimm dich in Acht, Osgard. Eines Tages gehst du zu weit mit deinen Vorurteilen, und dann sitzt du plötzlich in der überfüllten Hütte deiner Großnichte und nicht mehr an meinem Tisch.«
»Heute war nicht unser Clan, sondern unsere Lady in Gefahr«, bemerkte Guaire. Er saß an seinem angestammten Platz auf der anderen Seite von Abigail.«
»Ich war eigentlich genauso in Gefahr wie alle anderen auch«, behauptete Abigail, die offenbar Guaires Lippen las.
Osgard schnaubte. Aber einige Soldaten nickten zustimmend. Sie respektierten ihre Lady nach wie vor.
»Was hat der Stallmeister zu dem Vorfall gesagt?«, fragte Talorc Barr.
»Er hat niemanden gesehen.«
»Niemanden?«
Barr schüttelte den Kopf. »Er hat eine der jungen Stuten draußen trainiert, weshalb er nicht in der Nähe des Stalls war, als dieser Jemand dein Pferd rausließ.«
»Und mein Hengst?«
»Hat auf der linken Kruppe Spuren von einem Peitschenhieb.«
Talorc knurrte. Die Köpfe einiger Krieger ruckten hoch. »Hast du versucht, fremde Witterung aufzunehmen?«
»Es gab keine, nur der Stallmeister und seine Burschen waren dort. Die Peitsche trug auch keine Witterung.«
Talorc runzelte die Stirn. Egal wer ihm diesen bösen Streich gespielt hatte, er wusste genug, um sich der Entdeckung zu entziehen, indem er seine Witterung verschleierte. Außerdem war dieser Jemand so vorsichtig gewesen, etwas um das Ende der Peitsche zu wickeln, ehe er das Pferd schlug. »Du glaubst, das könnte einer der Jungen gewesen sein?«
»Gut möglich.« Barr war ein vorsichtiger Mann. Er würde niemanden beschuldigen, solange er keine eindeutigen Beweise vorlegen konnte.
Nicht mal junge Burschen, die vielleicht nur einen Streich gespielt hatten.
Obwohl sie nicht genau wusste, was ihr Mann für sie empfand, war dieses Nachtmahl für Abigail erstaunlich angenehm. Es war entspannender als jede andere Mahlzeit, die sie zusammen mit anderen Menschen einnahm, seit sie nach ihrem Fieber das erste Mal wieder die Treppe heruntergestiegen war. Sie musste sich jetzt endlich keine Sorgen mehr machen, dass jemand ihr Geheimnis entdecken könnte.
Der nachlassende Druck fühlte sich wirklich großartig an. Niemand wurde ungeduldig, wenn ihr etwas entging, das jemand sagte. Jeder verhielt sich, als sei es eine großartige Leistung, wenn sie verstand, was die Leute sagten. Ja, sie hatte das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
Und nicht mehr das verfluchte Mädchen.
»Hast du vor deiner englischen Familie deine Taubheit auch verborgen?«, fragte Earc. Er gehörte zu den Neugierigsten unter Talorcs Kriegern.
»Natürlich. Nur meine Mutter, mein Stiefvater und schließlich meine jüngere Schwester Jolenta wussten davon.«
»Warum sagst du ›natürlich‹?«
»Im besten Fall betrachteten die Leute mein Leiden als ein großes Unglück.«
»Und im schlimmsten Fall?«, hakte Earc sofort nach.
»Viele Priester lehren uns, dass ein Gebrechen darauf hindeutet, dass die betreffende Person von einem Dämon besessen ist.«
»Sind englische Priester denn so leichtgläubig?«, fragte Fionn. »Oder glaubst du allen Ernstes, wir nehmen dir diese Geschichte ab?«
»Ich versichere dir, es ist die Wahrheit.« Sie wünschte, es wäre anders. »Die Äbtissin sagte mir einmal, sie rufen immer sofort Teufel, Teufel, wenn sie keine andere Erklärung haben, warum jemand nach einem Fieber blind oder taub wird, obwohl andere sich von derselben Krankheit ohne bleibende Schäden erholen.«
»Deine Äbtissin scheint eine kluge Frau zu sein«, bemerkte Guaire.
»Ich bin ihr leider nie begegnet. Wir haben uns nur Briefe geschrieben. Aber ich zähle sie zu meinen Freunden. Neben meiner Schwester Emily war sie die Einzige, die mich nach meiner Krankheit noch wertschätzte.«
Talorc nahm ihr Gesicht in beide Hände und drehte ihren Kopf so, dass ihre Blicke sich begegneten. »Hör auf, deine Taubheit als ein Gebrechen oder Leiden zu bezeichnen.«
Alles andere um sie herum verblasste. »Aber es ist …«
»Eine Schwäche, obwohl es in deinem Fall kaum auffällt. Du hast erstaunliche Wege ersonnen, um das fehlende Gehör zu kompensieren.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens in der Zelle eines Klosters eingeschlossen werden.« Bei der Vorstellung erschauerte sie. Manchmal hatte sie nachts
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