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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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Schilfflöten und die heiseren Schreie der Sänger hören. Über ihm erstreckte
sich, unendlich weit und sternenübersät, der Nachthimmel, und das kalte Licht des Mondes mischte sich in die bernsteinfarbene Helligkeit der Öllampen, die entlang der Mauer aufgestellt waren.
    Als sie in das Dorf kamen, empfingen die Männer Hischam mit herzlichen Umarmungen. Er begrüßte sie seinerseits und zog Nathan dann in ein Gewirr von Gässchen mit gestampftem Boden. Frauen mit schwarzer, bläulich schimmernder Haut lagen auf Matten, tranken Tee und massierten sich, während sie silberhell lachten. Sie behandelten ihn, als wäre er einer von ihnen.
    Hischam öffnete ein Fach, in dem sie ihre Sachen verstauten, dann kehrten sie zu dem ausgelassenen Treiben zurück.
    »Hast du keine Angst, bestohlen zu werden?«
    »Nein, hier gilt die Scharia: Wenn du eine Frucht stiehlst, hackt man dir die Hand ab.«
    »Ganz schön radikal!«
    »Aber wirksam!«
    Während sie tiefer in das Dorf hineingingen, schienen die Trommeln lauter zu werden, sie schlugen jetzt im Einklang wie ein Herz. Das Stimmengewirr nahm ebenfalls zu und ließ die dünnen Wände der Häuser erzittern. Sie kamen auf einen großen, runden Platz, auf dem eine bunte und bewegte Menge im Schein der Flammen sichtbar wurde. Dort setzten sie sich unter eine Laube aus geflochtenen Palmzweigen, wo würdevoll die alten Männer saßen. Nathan tat es seinem Begleiter nach und grüßte sie einen nach dem anderen ehrfurchtsvoll. Junge Frauen brachten dampfende Schälchen, dünne Hirsefladen, Krüge mit Honigmilch oder frischem Wasser mit Hibiskusblüten. Sie aßen von den Speisen, während Hischam sich einen Augenblick mit den Männern unterhielt; dann stand er auf und sagte zu Nathan: »Ich werde mich um unsere Angelegenheiten kümmern. Brauchst du noch irgendetwas?«
    »Eine Waffe.«

    Sein Führer schien diese neue Forderung nicht im Geringsten zu überraschen.
    »Was für eine? Kalaschnikow?«
    »Nein, eine Pistole, etwas Zuverlässiges, Präzises: Glock, Walther, Sig Sauer…«
    »Ich kann dir nicht garantieren, dass ich so anspruchsvolle Waffen finde … Ist das alles?«
    »Bring mir auch einen Fahrradschlauch mit …«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann. Rühr dich auf keinen Fall von der Stelle.«
    Er verschwand. Einen Augenblick später begann die Zeremonie.
    Stille trat ein, dann teilte sich die Versammlung und bildete einen weiten, leeren Kreis. Zwei junge Männer, die Bräutigame, erschienen, stolz, in weißen Tuniken, ein tiefrotes Band um die Stirn, auf das ein goldgelbes Amulett genäht war. Auf der anderen Seite saßen die Bräute auf Thronen aus geschnitztem Holz.
    Die Musik setzte wieder ein.
    Die Männer begannen, um den Kreis herumzugehen. Die Trommler schlugen ihre Instrumente aus Leder und Holz, zuerst langsam, dann, während die Männer ihren Schritt beschleunigten, immer schneller. Sie schrien auf die Dorfbewohner ein, die in wilder Erregung einen Korb die Runde machen ließen, in den jeder Geld legte. Dann schloss sich die Menge dem Tanz an, während der Rhythmus immer schneller wurde.
    Berauscht vom Dröhnen der Trommeln, schlugen die Männer schon bald den harten Boden mit ihren nackten Füßen, während ihnen gegenüber die Frauen, den Kopf zurückgeworfen, die Augen verdreht und ganz leicht am ganzen Körper zitternd, ihre Handflächen der Nacht entgegenstreckten, als wollten sie die heftigen Rhythmen, die durch ihre Körper gingen, durch sie aus sich herauslassen. Manchmal ließ eine von ihnen einen flötengleichen Schrei ertönen, das Verblüffendste jedoch
war das heisere Keuchen, das aus ihren Kehlen kam, wie ein nicht abreißender seelischer Schmerz, ein machtvoller Klagegesang, der zum Himmel emporstieg. Gesicht und Glieder bedeckt von flüssigen, schimmernden Perlen, schienen die Musiker nach und nach diese Welt zu verlassen. Wie in Trance sprangen sie auf der Stelle, wobei sie ihre Beine hoch in die Luft hoben, und landeten dann wie verletzte Vögel wieder auf dem Boden, wobei sie Staubspiralen aufwirbelten, die sich um die Tanzenden wickelten.
    Die Luft schien jetzt von dem Keuchen widerzuhallen, das immer lauter wurde. Von dem Schauspiel in Bann geschlagen, ließ Nathan sich treiben, hinauf zum Himmel und zum Wind. Die Männer um ihn herum, die ganze Umgebung verschwammen und wichen einem Abgrund aus Dunst und Sand. Der Atem der Tänzer verteilte sich in ihm und verstärkte nach und nach das Bewusstsein seiner eigenen Existenz. Seine Seele

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