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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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erfüllt vom Geruch von Blut und noch warmen Körpern. Ich untersuchte sie nacheinander, bevor ich ihnen ihre Uniformen auszog. Roch tat es mir gleich. Für das, was wir vorhatten, brauchten wir einen Körper im bestmöglichen Zustand.
    Wir bemühten uns, die ekelhafte klebrige Schicht aus Sand und Blut abzuwaschen, welche sie bedeckte. Ich rieb, presste den triefenden, eiskalten Schwamm auf die Muskeln, das Fett, die Oberkörper, die weggerissenen Gesichter.
    Die düsteren Gedanken, welche mich einst gequält hatten, wenn ich auf so brutale Weise mit dem Tod in Berührung kam, hatten mich verlassen. […] Aber wir waren Männer der Wissenschaft, Ärzte, und nur diese anatomischen Studien erlaubten uns, die Komplexität des menschlichen Körpers zu begreifen und im Labyrinth des Wissens vorwärts zu kommen.
    Wir beschlossen, mit einem stattlichen Neger anzufangen, welcher mit einem einfachen Leinenhemd bekleidet und von den Schüssen verschont geblieben war.
    Roch nahm den Lederkoffer, in welchem er sein Chirurgenbesteck transportierte, und legte seine Messer in eine Schüssel. Zehn Jahre älter als ich und zweiter Sohn eines reichen Reeders, hatte er zuerst studiert, um ein Mann der Kirche zu werden, aber seine Leidenschaft für die Frauen hatte ihn wiederholte Male über die Mauer des Seminars springen lassen. Da er keine große Neigung für das Geschäftsleben verspürte, war er
ein sehr erfahrener Marinechirurg geworden, der sich sein Handwerk durch die Praxis erworben hatte. Er war gerade erst von einem Feldzug an Bord der Furieux , einer Fregatte mit achtzehn Kanonen, zurückgekehrt, welcher ihn und ihre Mannschaft an die Grenzen des Mittelmeers geführt hatte, wo sie in den Kerkern eines orientalischen Fürsten ein geschlagenes Jahr geschmort hatten, bevor sie glücklich befreit worden waren.
    Messer, Sägen, Pinzetten, Scheren, Spreizer, alles lag bereit. Ich hatte meinerseits Velin, Federn und Tinte für die Skizzen vorbereitet. Roch schob seine Hand unter den Oberkörper des Negers und schnitt mit dem Skalpell in die zarte Haut des Bauches; dickes, dunkles Blut quoll hervor. Anschließend machte er einen Längsschnitt vom Hals bis zum Brustbein und dann schräg, um ein Y zu bilden. Während er damit beschäftigt war, Knochen und Knorpel durchzusägen und zu zerschneiden, machte ich, über einen Schemel gebeugt, die ersten Skizzen.
    Als Roch mit seiner Arbeit fertig war, lächelte er mir komplizenhaft zu, und ich erwiderte sein Lächeln. Dann hob er mit seinen Händen die beiden breiten Haut- und Muskellappen hoch und öffnete die Brust des Negers wie ein Buch aus Fleisch.
    In diesem Augenblick bekam er weiche Knie. Er drehte sich um, und ich entdeckte sein Gesicht, welches bleich war, als habe er etwas Furchtbares gesehen. Ich fragte ihn, was er habe, aber die Worte kamen nur mit Mühe aus seinem Mund. Ich stürzte zu der Leiche, um die klaffende Wunde zu untersuchen, ein blutiger Brei, und mich packte das blanke Entsetzen. Die Lungen … die Lungen waren verschwunden.
    Satan persönlich war da gewesen.
    Ich tauchte meine Hände in die Eingeweide und begriff, dass die Organe herausgeschnitten worden waren. Diese Verstümmelungen waren keineswegs auf den Angriff der Engländer zurückzuführen, sondern mit Sicherheit auf irgendeinen Dämon, welcher geradewegs aus den Flammen der Hölle heraufgestiegen
war. Fest entschlossen zu begreifen, drehten wir den Körper um, indem wir ihn über den Tisch rollen ließen. Stämmig und kräftig wie ein Türke, wog der Kerl sicher seine hundertfünfzig Pfund. Sein Gesicht ruhte jetzt auf der Seite, seine deformierten Lippen ließen die Zunge heraustreten. Auf seiner Schulter entdeckten wir eine durch ein Brandeisen hervorgerufene Hautschwellung, das Wappen der Sklaven. Roch ließ die Fackel über den Rücken wandern, um die Oberfläche der Haut besser prüfen zu können. Er führte sie zum Schädel zurück bis zur Mulde des Nackens. Die Haut war an dieser Stelle welk. Er näherte die Flamme, die Kopfhaut schien im Schein des Feuers zu zucken. Plötzlich spürte ich, wie seine Hand sich auf meinem Unterarm verkrampfte.
    Der Hinterkopf war ein einziger schwarzer Schlund, umrahmt von schmutzigen Hautflecken. Ein Abgrund des Entsetzens öffnete sich in meinem Bauch, und die Angst summte wie die Flügel von tausend Insekten ohrenbetäubend laut in meinem Kopf. Der Schädel war eingeschlagen worden.
    Man hatte auch das Gehirn gestohlen …
    12
    Angst. Das erste Gefühl, das

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