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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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Packeis schwammen. Der eisige Wind begann sein Gesicht zu peitschen. Er ging an den Docks entlang. Gegenüber den erleuchteten Buden waren an Pontons Boote aus Holz oder Aluminium nebeneinander vertäut, und weiter hinten schaukelten zwei Wasserflugzeuge im Dunst. Alle Lokale lagen zum Hafen und zum offenen Meer hin, und die Pole Explorer hatte hier im Hafen gelegen. Irgendeiner hatte sie bemerken müssen. Er beschloss, mit der Imbissstube anzufangen.
    Das Lokal befand sich gegenüber einer geschlossenen Tankstelle. Die beiden Gebäude, die etwa fünfzehn Meter voneinander entfernt waren, waren lange, niedrige Blechbuden mit Schiebetüren und -fenstern. Nathan schob die Tür auf und durchquerte den Raum. Zu seiner Rechten spielten zwei Männer mit leicht schräg stehenden Augen und konzentrierten Gesichtern
eine Schachpartie nach der anderen. Russen, dachte Nathan, während er sich an einen mit pastellfarbenem Plastik überzogenen Holztisch setzte. Am Tresen tranken Riesenkerle mit struppigen Bärten unter einer viel zu grellen Neonleuchte lärmend und schreiend mit kräftigen Schlucken ihr Bier direkt aus der Flasche. Abgesehen von der Kellnerin, die bereits mit einem Bestellblock zu ihm unterwegs war, wurde seine Anwesenheit nicht weiter beachtet.
    Sie war sehr blond, blass, und ihre Wangen waren fast ebenso rot wie ihr Lippenstift.
    »Sprechen Sie Englisch?«, fragte Nathan, während sie das Wachstuch abwischte.
    »Ich komme zurecht. Was darf ich Ihnen bringen?«
    »Einen Espresso.«
    »Wir haben keine Maschine. Amerikanischen Kaffee?«
    »Na gut … Arbeiten Sie schon lange hier?«
    »Drei Jahre, warum?«
    »Ich fragte mich … Haben Sie hier einen Eisbrecher gesehen, die Pole Explorer ?«
    Nathan bemerkte, dass ihr ein Glied am Zeigefinger der rechten Hand fehlte.
    »Wann?«
    »Ende Februar.«
    Schweigen.
    »Nein, tut mir leid, das sagt mir nichts.«
    »Vielleicht haben Ihre Freunde am Tresen irgendetwas bemerkt?«
    Sie zögerte kurz, dann fragte sie: »Sind Sie ein Bulle oder was?«
    »Nein, Journalist«, sagte Nathan geistesgegenwärtig.
    Sie drehte sich um und kehrte zu den Riesenkerlen zurück. Mit einer mechanischen Bewegung ließ sie ihr Tablett auf die Bar gleiten und versetzte dem Größten von ihnen, der eine obszöne Geste machte, einen Rippenstoß. Sie brachen in lautes
Gelächter aus. Dann verstummten sie plötzlich, nur die junge Frau sprach jetzt. Die Hünen hörten ihr aufmerksam zu. Einer von ihnen blickte in Nathans Richtung, worauf dieser den Blick abwandte; dann setzten sie ihre Unterhaltung fort, als sei nichts gewesen.
    Die Kellnerin goss die lakritzfarbene Brühe in eine Tasse, nahm einen Keks aus einem Pappkarton, stellte alles auf ein Tablett und kam zu ihm zurück.
    Sie stellte den Kaffee vor ihm auf den Tisch und erklärte: »Das sagt ihnen nichts…«
    Es war offensichtlich, dass er von ihnen nichts erfahren würde. Er trank den lauwarmen Kaffee in einem Zug aus und beschloss, seine Nachforschungen woanders fortzusetzen.
    Auf dem Weg zum Ausgang bemerkte Nathan, dass am Tisch der Russen niemand mehr saß. Sie hatten sich aus dem Staub gemacht, ohne dass er es bemerkt hatte. Er zahlte und trat in die Nacht hinaus.
     
    Die meisten Lokale waren noch offen. Nathan ging in das nächste und stellte erneut seine Fragen. Er begegnete den gleichen finsteren Blicken, den gleichen Verneinungen; die Feindseligkeit dem Fremden gegenüber, der ihre Ruhe störte, war überdeutlich zu spüren. Die Seeleute mochten keine Fragen, keinen Ärger. In allen Bars war es das Gleiche. Anderthalb Stunden später hatte er sieben Kaffees und vier Tees getrunken und zweimal die Runde durch den Hafen gemacht, ohne die geringste Information erhalten zu haben.
    Er musste es irgendwie anders versuchen.
    Gegen einundzwanzig Uhr beschloss er, ins Hotel zurückzukehren. Er würde am nächsten Morgen noch einmal zum Hafen gehen, die Angestellten der Tankstelle würden sich vielleicht gesprächiger zeigen. Er folgte einem Weg, der zwischen den Häusern hindurchführte, bevor er in die Highstreet mündete. Die Hauptstraße überragte das Tal. Die zitternden Lichter von
Longyearbyen wirkten wie Sternbilder, die sich aneinander schmiegten, um sich besser vor der Kälte zu schützen. Nathan ging langsamer, um den Anblick zu genießen, als ein Rascheln ihn veranlasste, sich umzublicken.
    Er drehte sich um und suchte mit den Augen eingehend die Straße ab sowie die Dunkelzonen, die sich zwischen den Häusern öffneten. Kein

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