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Im Blutkreis - Roman

Im Blutkreis - Roman

Titel: Im Blutkreis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limes
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Laut, niemand, da war nichts Verdächtiges. Wahrscheinlich war es nur sein eigenes Echo. Er zwang sich zur Ruhe und setzte seinen Weg fort, aber seine Sinne schienen ihn vor einer Gefahr warnen zu wollen.
    Erneut durchbrach das Knacken von Eis die Stille. Da ging jemand in der Nacht und atmete im selben Rhythmus wie er. Nathan bog ganz ruhig nach rechts in eine kleine Straße. Nach ein paar Metern stapfte er rückwärts in den Abdrücken zurück, die er im Schnee hinterlassen hatte, und versteckte sich hinter einem Bretterzaun.
    Die Schritte kamen näher.
    Nathan hielt den Atem an und versuchte, die Dunkelheit durch die schlecht zusammengefügten Bretter hindurch zu durchdringen. Die Umrisse einer massigen Gestalt tauchten ein paar Meter vor ihm auf, er konnte eine Chapka-Mütze erkennen, eingehüllt von einem leichten Nebelhof. Sie folgte den Spuren, die sich an dem Bretterzaun entlangschlängelten. Nathan ließ sie zu sich herankommen und schoss dann aus dem Schatten heraus.
    »Suchst du mich?«
    Die Gestalt fuhr zusammen; Nathan packte sie und drückte sie gegen den Zaun.
    Das Gesicht … Es war einer der Russen aus der Imbissbude.
    »Was willst du?«
    »Ich, ich habe gehört Worte… von dir zu Kellnerin«, erwiderte der Russe in gebrochenem Englisch. »Ich … ich gesehen großen Eisbrecher …«
    »Die Pole Explorer ?«

    Der Mann nickte. Nathan lockerte seinen Griff.
    »Weißt du, warum er diesen Hafen angelaufen hat?«
    »Du zahlst wie viel?«
    Nathan steckte die Hand in seine Tasche und hielt ihm einen Fünfzig-Euro-Schein hin.
    »Im Zodiac… Sie gehen nach Horstland. Die Männer an Land gehen.«
    »Horstland?«
    »Die verlassene Walfängerinsel.«
    »Und was hast du da gemacht?«
    »Fischer, ich holen Fangkörbe.«
    »Weißt du, was sie dort gemacht haben?«
    »Sie in altes Dorf gehen. Ich nicht wissen, warum.«
    »Wie weit ist das von hier übers Meer?«
    »Vier Stunden nötig.«
    »Kannst du mich hinbringen?«
    »Nein, verboten.«
    »Dreihundert.«
    »Du morgen kommen zum Hafen. Fünf Uhr. Mein Schiff die Stromoï .«
    18
    Der Fischkutter glitt in die dunkle Fahrrinne, die sich im Packeis öffnete. Nathans Augen hatten sich nach und nach an die Dunkelheit gewöhnt, und er konnte jetzt den Stahlsteven erkennen, der zwischen den großen Eisblöcken lavierte, die glatt wie Marmor waren.
    Auf den ersten Blick wirkte der Kutter von Slawa Minenko ganz normal, aber als Nathan die Kajüte betrat, überraschte ihn die Einzigartigkeit des Raums. Jedes noch so kleine Detail hatte einen ganz eigenen Charme. Die Wände der Kajüte waren hellblau
ausgekleidet und mit Rosenkränzen aus Bernstein, Kreuzen und naiven Ikonen geschmückt, die die orthodoxen Heiligen darstellten, die direkt auf das Holz gemalt worden waren. Psalmen breiteten wie Insektenbeine ihre kyrillischen Buchstaben über jedes der heiligen Bilder aus. Nathan betrachtete einen Augenblick den Kapitän, der in einem Pullover steckte, dessen Maschen ungleich waren, sein zerfurchtes Gesicht, in dem die Einsamkeit tiefe Spuren hinterlassen hatte und das von langen, schwarzen, im Nacken von einem Band zusammengehaltenen Strähnen umrahmt wurde, und seinen Blick, der auf den silbrigen Horizont starrte … Er lebte gefangen in einer Welt der Inbrunst und des Aberglaubens. Vermutlich war das der Preis, den man für eine solche Freiheit bezahlen musste.
    Der Tag brach an, und die Küste breitete ihre unberührten Schneeflächen längs der Fluten aus. Seit sie vor zwei Stunden in See gestochen waren, hatten die beiden Männer kaum ein Wort gewechselt, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil die Sprache angesichts einer solchen Trostlosigkeit der Welt keine Gültigkeit mehr hatte. Nathan ging in die Kombüse hinunter, schenkte sich an dem schweren Samowar, der auf einem Kocher mit kardanischer Aufhängung stand, einen Becher Tee ein und kehrte dann an seinen Platz zurück. Als er den Beschlag fortwischte, der sich auf dem Bullauge gebildet hatte, bemerkte er, dass die Erde eine schwarze Färbung angenommen hatte; große Wolken beißenden Rauchs stiegen zum glasierten Himmel hinauf. In diesem Augenblick tauchten in der Ferne die Umrisse einer Stadt auf, die geradewegs aus einem Albtraum zu kommen schien: verrostete Hangars, Hochhäuser, Betonbauten, die in schwindelerregender Höhe an Steilhängen klebten. Longyearbyen und seine pastellfarbenen Häuser waren weit weg, das Ganze erinnerte eher an die Städte, die die Sowjets in den fünfziger Jahren in die

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