Im Bus ganz hinten
kein Wort mehr gewechselt. Ich vermisste sie irgendwie und hielt
unerklärlicherweise noch immer an der Hoffnung fest, dass sich irgendwann zwischen uns alles einrenken könnte. Deshalb wählte ich
schließlich die Handynummer von Erich. »Ich bin’s«, murmelte ich etwas kleinlaut ins Telefon. Ich hoffte inständig, dass er sich trotz allem,
was passiert war, freuen würde, meine Stimme zu hören. Doch mein Stiefvater war komisch drauf. Er antwortete mir, aber ich konnte keine
Form von Gefühlsregung seinerseits heraushören. Ich hätte nicht sagen können, warum ich ausgerechnet ihn angerufen hatte, ich vertraute
vermutlich darauf, dass er bei meiner Mutter ein gutes Wort für mich einlegen könnte. A lso sprach ich weiter: »Ich bin jetzt sozusagen
obdachlos. Sie haben mich in so eine schreckliche Einrichtung gesteckt. – Wie geht’s eigentlich Mama?« Erich schluckte. »Ich weiß es nicht. Sie
hat sich von mir getrennt«, antwortete er mit zittriger Stimme. »Wie bitte?« Ich war geschockt. »Was ist passiert?« Stille. Erich brauchte
bestimmt fünf Minuten, bis er die A ntwort über seine Lippen brachte. »Deine Mutter ist jetzt mit meinem Kumpel A ndy zusammen.« Krass! Ich
war sprachlos. Sie trennte sich tatsächlich von dem Mann, den ich Vater nennen und dessen Namen ich hatte annehmen sollen? Und dann
brannte sie auch noch mit seinem besten Freund durch? Sie hatte doch immer gewollt, dass Erich zu unserer Familie gehört. A ußerdem hatte
er ihr doch dabei geholfen, den Laden aufzubauen! Von null auf hundert kochte ich vor Wut. Ich konnte mich bestens in Erich hineinversetzen,
ich wusste, wie es sich anfühlte, von meiner Mutter im Stich gelassen zu werden. Ich legte auf, zog meine Jacke an und lief los, so schnell ich
konnte. Ich wollte mit meiner Mutter Klartext reden. Schon durch das Fenster ihres Salons sah sie mich kommen. Sie massierte gerade das
Gesicht einer Kundin, aber das war mir egal, ich riss die Tür auf und schrie: »Warum trennst du dich von meinem Vater, ohne mir etwas zu
sagen? Wieso benimmst du dich wie ein Schlampe?« Wow, das war wohl das erste Mal, dass ich Erich »meinen Vater« genannt hatte. Jetzt,
wo es zu spät war. Peinlich berührt, kam meine Mutter auf mich zu und versuchte mich zu beruhigen: »Wir klären das später. Ich kann gerade
nicht«, flüsterte sie. »Nein, wir reden jetzt!«, schrie ich, woraufhin mich meine Mutter einfach in Richtung A usgang schubste. Sie drückte mich
aus der Tür und schloss hinter mir ab. Ich verlor die Fassung und trat gegen die Glastür, die sofort in tausend kleine Teile zersprang. Die
Scherben bohrten sich in meine Wade. Ich sah zwar, wie das Blut meine Jeans verfärbte, aber wirklich schlimm war nur der Schmerz in mir
drin. Der Frisör aus dem Laden nebenan lief erschrocken auf die Straße und beobachtete, wie ich mein verletztes Bein aus der Scheibe zog.
Dann verpisste ich mich.
Einige Tage später flatterte ein Brief mit einem Stempel vom A mtsgericht in mein Postfach in der Kriseneinrichtung. Ich öffnete den Umschlag
und traute meinen A ugen kaum: Es war eine A nzeige wegen Sachbeschädigung und Bedrohung. Meine eigene Mutter hatte mich tatsächlich
bei den Bullen verpfiffen. A ls ich schließlich zum Gericht bestellt wurde, lehnte ich jede Hilfe ab und wollte auch keinen eigenen A nwalt. Für
mich war das eine Sache zwischen mir und meiner Mutter. A ber die erschien noch nicht einmal zum Prozess. Nur ihre A nwältin quatschte
mich voll. Ich war fassungslos: Was wollte diese Frau mir bitte von meiner Familie erzählen? Ich sagte kaum etwas, und am Ende brummte
mir der Richter 48 Stunden Gefangenschaft im Jugendarrest auf. Die viel größere Strafe war aber, dass die Beziehung zu meiner Mutter nun
endgültig im A rsch war.
Hinter schwedischen Gardinen
Ein paar Tage später bekam ich einen Brief von der Staatsanwaltschaft. »Ladung zum A rrestantritt«, las ich in der Betreffzeile. »Sehr geehrter
Herr Losensky, bitte finden Sie sich am Freitag, den 28. September, um 9.00 Uhr in der Jugendarrestanstalt Berlin-Lichtenrade, Luetzowstraße
45, ein.« Ich fluchte: »Och nö! Jetzt werde ich in eine Zelle gesperrt – und das nur wegen dem Streit mit meiner Mutter?« Ich war sauer und
warf den Brief in eine Ecke. »Scheiße, und das auch noch genau an A nis’ Geburtstag!« Wir hatten mit Meister A mrouche und dem ganzen
Betrieb feiern wollen, aber die Party konnte ich auf jeden Fall knicken. Es half aber
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