Im Bus ganz hinten
»Schäm dich,
Patrick. Hau ab!«, fuhr Erich mich entsetzt an. »Du hast mir überhaupt nichts zu sagen, du bist erst nach mir in diese Familie gekommen«,
fauchte ich zurück und ging mit dem Messer auf ihn zu. Meine Mutter schrie wie am Spieß. »Willst du mir etwa sagen, dass ich gehen soll?«,
fragte er verdattert. Meine A ugen waren starr auf ihn gerichtet. Er starrte zurück. »Ja, genau. Das sage ich dir. Du hast hier nichts mehr
verloren. Gar nichts mehr. Hau ab.« Erich lachte hämisch. Ich ging weiter auf ihn zu. Mit langsamen Schritten. Das Messer hielt ich in der
rechten Hand, die allerdings unkontrolliert zu zittern begann. Meine Mutter schrie weiter: »Wir müssen die Polizei rufen. Erich, tu was.« A ber
der Freund meiner Mutter blieb ganz cool. Er atmete langsam, und ich hatte das Gefühl, ich könnte seinen Herzschlag hören. Die Spannung
war unerträglich. Erich sagte nichts mehr. Ich auch nicht. Und plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals und ließ das Messer zu Boden fallen. Was
tat ich da? Wieso rastete ich so aus? Mir wurde klar: Ich war zu weit gegangen. Erich packte mich an den Schultern und schob mich ohne ein
Wort aus der Wohnung. Kaum war ich draußen, schlug er die Tür hinter mir zu. Der Knall riss mich aus meiner Trance, und ich lief in die
Nacht hinaus bis zum Rathaus Steglitz. Das waren mindestens zehn Busstationen. Dabei wischte ich mir immer wieder mit den Händen über
mein Gesicht. Warum zum Teufel wollte mich niemand auf dieser Welt bei sich haben? Tot zu sein hätte sich in diesem Moment wohl
lebendiger angefühlt …
Raus aus dem Heim
Dietlind und A nnika, so hießen die beiden schrecklichsten Betreuerinnen im Heim. Erstere war eine richtige Öko-Blondine: Sie trug keine
Schminke, dafür Juteklamotten, und ihre Haare waren immer ungekämmt und strubbelig. Wenn sie mir A nweisungen gab, dann nörgelte sie
meistens auf einer unangenehmen Frequenz: »Duuuu, Patrick. Räum doch mal wieder aaaaauf«, war einer ihrer Lieblingssätze. Diese Frau
konnte ich beim besten Willen nicht ernst nehmen. A nnika wiederum war die fetteste Olle nördlich des Ä quators. Sie wog so um die 110 Kilo,
war dabei aber extrem klein. Sie hatte kurze braune Locken und eine XXL-Schlaubi-Brille im Gesicht. Wie kann man nur so fett werden?, habe
ich mich bei ihrem A nblick immer gefragt. Vor allem, weil das Essen im Heim der schlimmste Ekelfraß auf Erden war. Es gab grundsätzlich
nur Toastbrot mit Käse und Cervelatwurst. Und das morgens, mittags und abends. Die Tiere im Zoo kriegten vermutlich noch besseres Futter!
Weil ich immer nur Scheiße baute und nie pünktlich nach Hause kam, beruhte die A bneigung zwischen Dietlind, A nnika und mir auf
Gegenseitigkeit. Einmal hatte ein Kumpel von mir Ä rger mit der Polizei und bat mich, seine Knarre bei mir zu verstecken. A ls ich mit dem
Ding in der Hand ins Heim spazierte, drehten die zwei Weiber völlig durch. »SPINNST DU JETZT TOTA A A A L?!?!«, brüllte mich Dietlind in
voller Lautstärke an. »Es reicht uns mit dir!«, fügte A nnika kreischend hinzu. Wenig später war die Waffe konfisziert, und ich hatte
Basketballverbot. Shit! Dann spiele ich halt woanders, dachte ich nur. Und weil ich dann in einem mittelprächtigen Wutanfall eine hässliche
Vase auf dem Gang zerschlug, wurde mir auch noch das Taschengeld gestrichen.
Damit hatte ich ein altbekanntes Problem: Ich brauchte Kohle! Mit zwei anderen Heimkollegen, Mehmet und Cem, beschloss ich, die Sache
offensiv anzugehen: Wenn die mir mein Geld wegnahmen, holte ich mir eben ihres! Gesagt, getan. Es war Weiberfastnacht, und alle feierten
in der A ula. Die Bekloppten tanzten mit ihren peinlichen Kostümen Polonaise oder sonst was, und darauf hatte ich sowieso keinen Bock. Mit
meinen zwei Verbündeten schlich ich mich unbemerkt aus dem Raum und in Richtung des Heimbüros, wo das Geld gelagert wurde. Die Tür
war nachvollziehbarerweise verschlossen – Leuten wie mir hätte ich auch nicht getraut. A ber wir hatten einen Plan, wie wir trotzdem
reinkommen würden: nämlich durchs Fenster. Wir liefen also heimlich einmal ums Haus herum und suchten nach dem Büro. Mein Herz pochte
wie wild, und ich war aufgeregt, gleichzeitig war mir aber auch klar, dass ich die Sache jetzt durchziehen würde. Es fühlte sich an, als wäre ein
Motor in mir angesprungen: Es war die Wut auf Dietlind und A nnika, die mich vorantrieb, ohne dass ich noch groß darüber nachdenken
musste.
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