Im Bus ganz hinten
Chromfarbe aus und malte alles aus. Bis dahin lief die Sache perfekt, aber als ich gerade mit Rosa anfangen wollte, sah ich im Augenwinkel drei Gestalten.
»Mist, welche Bastarde wagen es, mich zu stören?«, fluchte ich lautlos. Ich beobachtete, wie die Typen geduckt über die Brücke liefen. An ihren Silhouetten erkannte ich gleich, dass es auch Sprüher sein mussten. Sie trugen Kapuzenpullis und dicke Turnschuhe. Wenige Sekunden später standen sie neben mir auf dem Laufsteg am Zug und starrten mich beeindruckt an. Sie sagten keinen Ton. Ich war so wütend! Das hier war mein Moment, die Idioten sollten bitte sofort wieder abziehen. Von anderen Sprüherkumpels hatte ich mir bereits die aggressive Art abgeguckt, und so zog ich aus meiner Hosentasche ein Klappmesser, dessen Klinge – durch eine Laterne angestrahlt – gefährlich blinkte.
»Was erlaubt ihr euch?!«, zischte ich sie an. Doch meine Worte wurden von einem extrem lauten Geräusch übertönt. Genau in diesem Moment rauschte wie aus dem Nichts ein Güterzug an uns vorbei, exakt einen Meter von meiner Nasenspitze entfernt. Wir zuckten erschrocken zusammen, bewegten uns aber keinen Millimeter. Ich blickte direkt in die Augen des Lokführers.
»Scheiße, jetzt hat er mich gesehen«, fluchte ich.
»Der ruft jetzt wahrscheinlich die Bullen! Und das alles nur, weil ihr Pisser mich abgelenkt habt.« Ich war stinksauer, riss meine Maske herunter und warf den Jungs einen Todesblick zu.
»Verpisst euch! Sonst gibt’s gleich richtig Ärger!« Sie wussten, dass sie nichts mehr auf dem Gelände verloren hatten. Und ich war noch nett! Andere Sprüher hätten ihnen gleich das Messer in den Bauch gerammt. Ängstlich starrten sie mich noch einen Moment lang an und verschwanden dann in die Nacht.
Was sollte ich jetzt tun? Weitermachen oder lieber abhauen? Die Polizei könnte in wenigen Minuten hier sein, dachte ich. Ich zögerte. Aber dann entschied ich mich dafür, schnell noch die restlichen Linien mit meiner rosa Farbe zu ziehen. Und wenige Minuten später war es fertig:
mein erstes Whole-Car. Krass! Ich war so stolz, dass ich nicht mehr aufhören konnte zu grinsen. In riesigen Buchstaben stand nun FLERauf dem Waggon. Schnell zog ich meine Kamera aus der Tasche und fotografierte das Kunstwerk. Mein Kunstwerk. Ich wusste: Schon morgen früh würde jeder meinen Namen kennen, denn dieser Zug fuhr durch die ganze Stadt. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hatte es geschafft: endlich Fame!
Ich schmeiß die Schule – Sprüher 4 Life!
Endlich hatte ich meine Bestimmung gefunden: Ich wollte nichts anderes mehr machen, als zu sprühen! Die Schule war mir jetzt komplett egal. Ich schwänzte ständig den Unterricht. Viel lieber zog ich mit meinen Kumpels durchs Viertel, um Graffitis zu hinterlassen. Und das meistens bis tief in die Nacht. Da war für Hausaufgaben und Lernen einfach keine Zeit mehr. Sorry! Die Dosen zum Sprayen bekam ich inzwischen von meinem reichen Kumpel Zwek. Wir hatten zwar kaum noch Kontakt, aber was das Sprühen betraf, waren wir noch immer auf einer Wellenlänge. Da half er mir. Zum Glück! Selbst hätte ich mir die Farben niemals leisten können – ich hatte ja keine Kohle.
Zweks Eltern durften aber auf keinen Fall erfahren, was er auf den Straßen Berlins so trieb. Sie dachten, er wäre der bravste Junge der Welt, und deshalb mussten wir das Equipment gut verstecken. Wir hatten dafür den perfekten Platz: bei Achim Flodder im Kinderzimmer. Achim lebte mit seiner Familie in einem Haus in Zehlendorf – und Flodder wurde er genannt, weil es bei ihm genauso aussah wie bei der berühmten 90er-Jahre-TV-Familie: total dreckig und heruntergekommen. Überall stapelte sich der Müll. Asche und Zigarettenstummel lagen im Raum verteilt herum, alte Pommes- und Dönerreste versteckten sich in der Bettritze. Und über den Teppichboden huschten manchmal sogar Mäuse.
Baaah! Auch Flodder selbst war ziemlich widerlich, ich nahm an, dass er sich in seinem Leben bis dahin höchstens dreimal die Zähne geputzt hatte. Er stank muffig und süß-sauer wie ein Penner. Trotzdem war er ein korrekter Typ: Immerhin überließ er uns Sprühern sein Zimmer – als Hauptquartier. Wenn wir unsere Dosen brauchten, kletterten wir nachts einfach auf einen Baum vor seinem Haus und von dort durch ein Fenster in sein Zimmer. Wenn man drinnen war, musste man sich allerdings erst durch eine dicke Schicht aus grünem Nebel kämpfen. Denn dort chillten immer die Jungs von der
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