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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fler
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veranlasste die Überweisung. Kohle war jetzt kein Thema mehr für mich, schließlich hatte ich gerade 60 000 Singles und 80 000 Alben verkauft.
Neue deutsche Welle ... äh, Schelle
    Mein neues Leben war einfach nur krass: Plötzlich musste ich mir keine Sorgen mehr um meine Miete machen. Ich war auch nicht mehr aufs Sozialamt angewiesen. Und klauen musste ich schon gar nicht mehr. Zum ersten Mal konnte ich mir sogar eine richtig geile Wohnung leisten:
    drei Zimmer, mit einer großen Badewanne, mit schönem Laminat und einem sauberen Treppenhaus. Und das für 900 Euro im Monat. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen gegenüber der Hood, der ich mich trotz der miesen Kindheit noch verbunden fühlte, zog aber trotzdem nach Prenzlauer Berg. Ich wollte mich abschotten von allem. Mich verstecken. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass alle mich überwachten.
    Das Fernsehen. Und die Polizei, die mich ja wegen sämtlicher Sprüheraktionen auf dem Kieker hatte. Ich wollte ein komplett neues Kapitel meines Lebens anfangen, und dabei war es extrem hilfreich, dass ich in eine Gegend zog, in der ich früher nie rumgehangen hatte. Aber nicht nur eine Wohnung leistete ich mir von meinem ersten Hit »NDW2005«. Ich kaufte mir auch eine fette Kette mit den Buchstaben A-G-G-R-O für 12 000 Euro. Ich fuhr total auf dem Ami-Film und wollte meinen Style verändern: Jetzt trug ich Baggys mit weiten T-Shirts und New-Era- Caps. Die Idee war, dass ich möglichst etwas ganz anderes machen und mich von Bushido distanzieren wollte. Und mit dem neuen Style und meinem ersten Hit in der Tasche gelang mir das auch ganz gut.
    Ich führte das absolute Luxusleben: Wenn ich auf Tour war, ging ich ständig shoppen. Ich fuhr überallhin mit dem Taxi, da ich ja noch immer keinen Führerschein hatte. Endlich konnte ich das Leben mal genießen! Ich holte alles nach, was ich bis zu meinem 18. Lebensjahr nie bekommen hatte. Plötzlich musste ich nur mit dem Finger schnippen und konnte jedes Mädchen haben, das ich wollte. Es klingt vermutlich nach einem dämlichen Klischee, entspricht aber den Tatsachen: Je mehr Geld man hat, desto mehr laufen die Frauen einem nach. Es wimmelte nur so von Fame-Huren, die unbedingt mit mir ins Bett wollten. Und ich hatte nicht die kleinste Kleinigkeit dagegen einzuwenden.
    Aber das »Neue Deutsche Welle«-Thema hatte natürlich auch Schattenseiten, weil es ziemlich kontrovers war. Ich hatte eine Menge Aufmerksamkeit, aber viele Leute verstanden mich total falsch und dachten, ich wäre ein Nazi. Und das nur, weil ich als Deutscher mit einem Deutschland-Thema um die Ecke kam. Dabei hatte ich mich lediglich als der »neue Deutsche« verkaufen wollen, der zu seiner Identität auch stehen konnte – so wie meine türkischen Freunde stolze Türken waren und die arabischen eben Araber. Die Telefone des Aggro-Büros standen plötzlich nicht mehr still. Es gab eine Flut an Interviewanfragen von Magazinen wie dem Focus, dem Spiegel oder dem Stern. Und alle wollten mit mir über die Nazivergleiche sprechen. Dabei spielte der Scheiß in meiner Welt nicht die geringste Rolle: Ich hatte ja von jeher fast ausschließlich mit Ausländern abgehangen. Die Hip-Hop-Szene lebte doch davon, dass die Leute von überallher kamen. Bei einem Battle konnte es um alle möglichen Sachen gehen, aber niemals um die Herkunft. Doch egal, wie oft ich das den Reportern erklärte, sie wollten mir einfach nicht glauben und hatten nicht die kleinste Ahnung von der Welt, aus der ich kam.
    Und dann geschah das Schlimmste überhaupt: Aggro wollte unbedingt, dass ich für die satirisch-kritische Sendung »Polylux« ein Interview gab. Das waren die letzten Menschen auf der Welt, die was mit Hip-Hop hätten anfangen können. Alternative Biomüsli-Opfer halt. Weil Aggro drauf bestand, musste ich den Termin wahrnehmen, doch als ich dann wieder bei mir auf der Couch saß und das fertige Interview im Fernsehen sah, dachte ich, ich müsste sofort kotzen: Die nannten mich doch eiskalt in einem Atemzug mit einer Nazi-Rapper-Band aus Dresden! Das Interview war bei Aggro im Büro aufgezeichnet worden und wirkte total gestellt. Der Reporter, so ein Sandalettentyp aus Mitte, ging überhaupt nicht auf meine Antworten ein. Er hatte gar keinen Bock, mit mir zu diskutieren. Stattdessen schlug er vor, dass ich eine Deutschland-Fahne in die Kamera hielt und böse mit den Augen rollte. Was für ein Schund! Der Interviewer hatte mich einfach nur für seine Story benutzen und vorführen

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