Im Club der geheimen Wünsche
jemals einem männlichen Prostituierten begegnen sollen?
Sie konnte ihren Blick nicht von seinem Mund losreißen. Der Mund war voll, die Unterlippe breiter als die Oberlippe. Erneut überkam sie das Gefühl, diesen Mund früher schon einmal gesehen zu haben.
Seine Haut hatte die Farbe von dunklem Honig. Er schien also viel Zeit in der Sonne zu verbringen. Erstaunlich bei einem Mann, der seinen Lebensunterhalt in einem Schlafzimmer verdiente.
Erneut lächelte er selbstgefällig. Er sah, dass sie ihn anstarrte, und glaubte deshalb wahrscheinlich, sie würde ihn begehren.
In ihren Ohren begann es zu rauschen. Er würde ein Nein als Antwort nicht akzeptieren.
„Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt, Madam."
„Nein, nein, Sie haben nichts falsch gemacht. Sie waren ..." Wie sollte sie es ausdrücken? „... reizend. Ja, Sie waren ganz ... wunderbar. Seien Sie mir bitte nicht böse. Ich werde Sie bezahlen, sodass es keine Zeitverschwendung für Sie war ..."
Da stand er plötzlich direkt vor ihr, und sie sah nichts mehr außer einer schwarzen Frackjacke und einer Weste mit weißen Stickereien.
„Natürlich bin ich nicht böse. Wenn Sie mich nicht wollen, verstehe ich das." Er beugte sich vor und hob ihre Finger so langsam an seine Lippen, dass Jane zu atmen vergaß und ihre Knie weich wurden.
„Nein." Hastig zog sie ihre Hand weg.
„Gefalle ich Ihnen nicht, Lady Sherringham?"
„Aufhören. Aufhören!" Sie befreite ihre Hand aus seinem Griff, während das Rauschen in ihren Ohren lauter wurde. Sie hatte ihren echten Namen nicht genannt. Noch vor wenigen Sekunden hatte er das selbst erwähnt.
„Woher wissen Sie, wer ich bin?", schrie sie.
Sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Plötzlich wusste sie, woher sie ihn kannte. Sie erschrak so heftig, dass sie entsetzt nach Luft schnappte und rückwärts auf das weiche Bett fiel. Ihre Röcke flogen hoch, ihre Beine spreizten sich, und sie stieß mit dem Ellbogen heftig gegen den Bettpfosten.
Der stechende Schmerz und die Scham verwandelten ihren Schreck in Wut, während sie wie ein Häuflein Elend auf dem Bett lag. „Sie sind nicht der Mann, den ich gemietet habe! Jetzt erkenne ich Sie. Sie sind Delphinas Bruder!
Lord Wickham!"
Aus gutem Grund auch als „Lord Lasterhaft" bekannt. Was tat er hier, in diesem abscheulichen Club, der Dels Leben zerstört hatte?
„Ich bin überrascht, dass Sie mich erkannt haben, Lady Sherringham."
Jane stützte sich auf die Ellbogen. Jetzt war es unübersehbar für sie. Der gut aussehende zwanzigjährige Draufgänger, den sie vor Jahren gekannt hatte, war auch jetzt noch leicht wiederzuerkennen, obwohl er älter geworden war und eine Maske trug. Früher hatte er einfach Christian Sutcliffe geheißen, denn damals hatte sein Vater noch gelebt. Die acht Jahre, die seitdem vergangen waren, hatten ihn verändert. Zusätzlich zu der Narbe, die er jetzt trug, traten seine Wangenknochen deutlicher hervor, und die Falten in seinem Gesicht waren tiefer. Er war gebräunt und wirkte kräftiger und wesentlich muskulöser.
„Dass Sie überrascht sind, kann ich mir vorstellen", fauchte sie laut genug, um das wilde Pochen ihres Herzens zu übertönen. „Schließlich waren Sie lange fort; auf dem Kontinent, in Indien und im Orient. Ungefähr überall, außer in England, wo Sie Ihrer Schwester hätten helfen können, als sie gezwungen wurde, Lord Treyworth zu heiraten."
„Und ich erinnere mich an Sie", murmelte er, während er sie musterte. „An die Wildkatze."
Jane schaute in seine dunkelblauen Augen. Abgesehen von der Farbe sahen sie genauso aus wie die von Del. „Was machen Sie hier?", verlangte sie zu erfahren. „Hier in England, in diesem ekelhaften Club?"
So rasch sie konnte, presste sie ihre Beine zusammen. Von all den dummen Dingen, die hätten passieren können, musste sie da ausgerechnet aufs Bett fallen?
Wickham streckte ihr seine Hand entgegen, die in einem schwarzen Lederhandschuh steckte. Dabei umspielte ein amüsiertes Lächeln seine Lippen. Wenigstens stürzte er sich nicht auf sie. Sherringham hätte das getan, hätte die Situation ausgenutzt. Bevor er England verließ, hatte sie Dels Bruder drei Jahre lang oft gesehen, und es hatte zwischen ihnen kein einziges Gespräch gegeben, das nicht mit einem Streit geendet hätte.
Zahllose Fragen gingen ihr durch den Kopf, aber seltsamerweise entschied sie sich dafür, die unwichtigste von allen hervorzustoßen: „Wo ist der Mann, den ich gemietet habe?"
Bei ihren Worten
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