Im Dienst des Seelenfängers
hinauf zuflüchten. Nachtkriecher stellte Abfangtruppen an den Kanten auf. Sie warfen die Flüchtigen zurück. Der Widerstand verstärkte sich.
Dennoch rochen die Rebellen den Sieg. Sie rückten deutlich begeisterter vor. Die Rampen und die Türme setzten sich aus der Ferne in Bewegung. Ihr Vorrücken hatte mit wenigen Metern in der Minute etwas Behäbiges an sich. Ein Turm stürzte um, als er am Au- ßengraben auf schlecht gestampften Abraum rollte. Eine Rampe und einige Dutzend Männer wurden zermalmt. Die verbliebenen Maschinen rollten weiter vor. Die Garde stellte ihre schwersten Geschütze um und schleuderte Feuerbälle. Ein Turm fing Feuer. Dann ein weiterer. Eine Rampe kam brennend zum Stehen. Aber die anderen Maschinen rollten stetig voran und erreichten den zweiten Graben. Die leichteren Katapulte verlagerten ebenfalls ihre Zielrichtung und richteten unter den Tau- senden, die die Maschinen vorantrieben, Verheerungen an. Am inneren Graben waren die Pioniere mit Auffüllen und Feststampfen beschäftigt. Und mit dem Sterben unter den Pfeilen unserer Schützen. Ich mußte sie bewundern. Sie waren unsere tapfersten Gegner.
Der Stern der Rebellen begann seinen Aufstieg. Sie überwanden ihren schwachen Anfang und wurden so kampfeswütend wie zuvor. Wirbelnd und tosend wurden die Einheiten auf unserer ersten Stufe zu immer kleineren Knoten aufgespalten. Die Männer, die Nachtkriecher ursprünglich aufgestellt hatte, um unsere von der Flucht abzuhalten, kämpften nun gegen
übermäßig vorwitzige Rebellen, die am Blockadewall emporkletterten. An einer Stelle zerrten
die Rebellen die Pflöcke frei und versuchten, einen Aufmarschweg auszuheben. Es war Mitte des Nachmittags. Den Rebellen stand noch stundenlang Tageslicht zur Verfü- gung. Ich begann zu zittern.
Ich hatte Einauge seit Beginn des Angriffs nicht mehr gesehen, nun kam er wieder. »Nach- richt vom Turm«, sagte er. »In der letzten Nacht haben sie sechs Kreisangehörige verloren. Das heißt, daß da draußen vielleicht nur noch acht sind. Vermutlich niemand, der schon im Kreis war, als wir nach Norden kamen.«
»Kein Wunder, daß sie nur langsam loslegten.« Er betrachtete die Kämpfe. »Sieht nicht so gut aus, oder?« »Wohl kaum.«
»Deswegen kommt sie wohl zu uns.« Ich drehte mich um. »Ja. Sie ist auf dem Weg hierher. Höchstpersönlich.«
Kälte. Kalt-kalt-kalt. Ich weiß nicht warum. Dann hörte ich, wie der Hauptmann brüllte, der Leutnant und Candy und Elmo und Raven und wer weiß wer noch, alle brüllten los, daß wir Aufstellung nehmen sollten. Die Kuschelzeit war vorbei. Ich zog mich zu meiner Feldscher- arbeit zurück, die mittlerweile in einer Zeltansammlung am hinteren Ende stattfand und un- glücklicherweise auf der Leeseite der Latrine lag. »Überraschungsinspektion«, sagte ich zu Einauge. »Sieh zu, daß alles anständig aussieht.«
Die Lady kam zu Pferde die Rampe herauf, die beim Turmeingang lag. Ihr Reittier ent- sprang angemessener Zucht. Es war ein großer, lebhafter Rotschimmel mit schimmerndem Fell, der wie das künstlerische Abbild eines vollkommenen Pferdes aussah. Sie war entsprechend gekleidet, in roten und goldenen Brokat, weiße Schals, Gold- und Sil- berschmuck, einige schwarze Accessoires. Wie eine reiche Dame, der man auf Opals Straßen begegnen mochte. Dunkler als die Mitternacht war ihr Haar, das lang unter einem eleganten weißen Dreispitz herabhing, auf dem weiße Straußenfedern prangten. Es wurde von einem Perlennetz zusammengehalten. Bei ihrem Ritt umgab sie eine Insel des Schweigens. Männer gafften. Nirgendwo sah ich einen Hauch von Furcht. Die Begleiter der Lady entsprachen schon eher ihrem Bild. Beide mittelgroß und in Schwarz gehüllt, mit Gesichtern, die hinter schwarzer Seide verborgen waren, auf schwarzen Pferden und mit Zaumzeug und Sätteln aus schwarzem Leder entsprachen sie dem allgemeinen Bild der Unterworfenen. Einer führte einen schwarzen Speer, dessen Spitze aus geschwärztem Stahl war, der andere trug ein silbernes Horn bei sich. Sie ritten zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken und stets einen Meter hinter ihr. Im Vorbeireiten widmete sie mir ein süßes Lächeln. Ihre Augen blitzten humorvoll und ein- ladend…
»Sie liebt dich immer noch«, frotzelte Einauge.
Ich erbebte. »Das ist es ja, was ich befürchte.«
Sie ritt durch die Reihen der Kompanie geradewegs zum Hauptmann und sprach vielleicht eine halbe Minute lang mit ihm. Als er diesem alten Übel gegenüberstand, zeigte er keinerlei
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