Im Dienst des Seelenfängers
»Willst du weiter mit dem Daumen im Hintern rumstehen, Croa- ker? Wir brauchen jemanden, der anschreibt.« Einauge ist mindestens einhundert Jahre alt. In den Annalen sind die vulkanischen Tempe- ramentsausbrüche des runzeligen kleinen schwarzen Mannes während des gesamten letzten Jahrhunderts verzeichnet worden. Wann er zu uns kam, läßt sich nicht mehr sagen. Siebzig Jahre der Chronik gingen verloren, als bei der Schlacht von Urban die Stellungen der Kompa- nie überrannt wurden. Einauge weigert sich, über die fehlenden Jahre Auskunft zu geben. Er sagt, daß er nicht an Geschichte glaubt. Elmo gab aus. Fünf Karten an jeden Spieler und ein Blatt vor einen leeren Stuhl. »Croaker!« fauchte Einauge. »Setz dich endlich auf deinen faulen Arsch!« »Nöö. Früher oder später wird Elmo schon reden.« Ich tippte mit dem Stift an meine Zähne. Einauge war in Hochform. Rauch quoll ihm aus den Ohren. Eine kreischende Fledermaus flatterte aus seinem Mund.
»Er scheint verärgert zu sein«, stellte ich fest. Die anderen grinsten. Einauge zu veräppeln gehört zu unseren Lieblingszeitvertreiben. Einauge haßt Außendienst. Und haßt es noch mehr, etwas zu verpassen. Elmos Grinsen und Schweigers sanftmütige Blicke überzeugten ihn davon, daß er etwas Gutes verpaßt hatte. Elmo steckte seine Karten um, musterte sie aus wenigen Zoll Entfernung. Schweigers Augen funkelten. Kein Zweifel. Sie hatten eine besondere Überraschung für uns. Raven setzte sich auf den Platz, der mir angeboten worden war. Niemand erhob Einspruch. Selbst Einauge erhebt niemals Einspruch gegen etwas, das Raven sich in den Kopf gesetzt hat.
Raven. Seit Oar kälter als das Wetter. Vielleicht mittlerweile seelentot. Er kann einen Mann mit einem Blick zum Zittern bringen. Grabeshauch unweht ihn. Und trotzdem liebt Darling ihn. Blaß, zierlich, ätherisch stand sie mit einer Hand auf seiner Schulter neben ihm, als er seine Karten aufnahm. Sie lächelte für ihn. In jedem Spiel mit Einauge ist Raven eine echte Hilfe. Einauge schummelt. Aber niemals dann, wenn Raven mitspielt.
»In Ihrem Turm steht Sie und blickt nach Norden. Sie faltet Ihre zarten Hände. Sanft weht eine Brise in Ihr Fenster. Sie streicht durch Ihr mitternachtsseidiges Haar. Auf der sanften Neigung Ihrer Wange funkeln diamantene Tränen.« »Ju-huuu!«
»Oh, wau!«
»Autor! Den Autor auf die Bühne!«
»In deinem Schlafsack soll ein Schwein werfen, Wilie.« Diese Typen lachen sich über mei- ne Phantastereien über die Lady halbtot. Diese kleinen Szenen sind ein Spiel, das ich mit mir selbst spiele. Verdammt, soweit ich weiß, könnten meine Märchen sogar stimmen. Nur die Zehn Unterworfenen bekommen die Lady jemals zu Gesicht. Wer weiß schon, ob sie schön ist oder häßlich oder sonst etwas? »Diamantene Tränen funkeln, he?« sagte Einauge. »Das gefällt mir. Wahrscheinlich hat sie Sehnsucht nach dir, Croaker.«
»Hört schon auf. Ich mach mich ja auch nicht über eure Spielchen lustig.« Der Leutnant trat ein, setzte sich, maß uns mit einem finsteren Blick. In letzter Zeit besteht sein Lebensziel aus Mißbilligung.
Seine Ankunft bedeutete, daß der Hauptmann auf dem Weg hierher war. Elmo faltete die Hände und sammelte sich.
Schweigen senkte sich. Wie durch Zauberei tauchten die Männer auf. »Macht die verdamm- te Tür zu!« brummte Einauge. »Wenn die weiter so hereinstolpern, friere ich mir noch den Hintern ab. Spiel schon aus, Elmo.«
Der Hauptmann trat ein und setzte sich auf seinen üblichen Platz. »Dann wollen wir mal hö- ren, Feldwebel.«
Der Hauptmann gehört nicht zu den farbenfrohsten Charakteren. Zu ruhig. Zu ernsthaft. Elmo nahm seine Karten herunter, klopfte sie an den Rändern zusammen und ordnete seine Gedanken. Kürze und Präzision können bei ihm zur Besessenheit werden. »Feldwebel?«
»Schweiger hat eine Postenkette südlich des Gehöfts entdeckt, Hauptmann. Wir umgingen sie von Norden her. Griffen nach Sonnenuntergang an. Sie haben versucht, sich zu zerstreuen. Schweiger hielt Raker beschäftigt, und wir kümmerten uns um die anderen. Dreißig Mann. Dreiundzwanzig haben wir erwischt. Wir brüllten immer wieder, daß unser Spitzel unverletzt bleiben sollte. Raker ist uns durch die Lappen gegangen.« Diese Truppe arbeitet vornehmlich mit List. Die Rebellen sollen glauben, daß ihre Reihen von Informanten nur so wimmeln. Das verdirbt ihnen die Verständigung untereinander und macht das Leben für Schweiger, Einauge und Goblin weniger riskant. Das sorgsam
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