Im Dienst des Seelenfängers
Ergründen seines Projekts. Wahrscheinlich besser so. Eine nie abgegebene Erklärung konnte auch nicht von Rebellenspitzeln belauscht werden.
Sechs Haare und ein Kalksteinblock. Was zum Donner? Tagelang wechselten sich Schweiger, Goblin und Einauge bei der Bearbeitung des Steins ab. Ab und zu kam ich am Stall vorbei. Sie ließen mich zusehen und knurrten mich an, wenn sie keine Fragen beantworten wollten.
Manchmal steckte auch der Hauptmann seinen Kopf herein, zuckte die Achseln und ging wieder in sein Quartier zurück. Er jonglierte mit Strategien für einen Frühlingsfeldzug, in dem sämtliche verfügbaren Reichsstreitkräfte gegen die Rebellen vorrücken würden. Seine Gemä- cher waren vor lauter Landkarten und Berichten schon nahezu uneinnehmbar geworden. Sobald sich das Wetter änderte, wollten wir den Rebellen eins auswischen. Das mag zwar grausam sein, aber den meisten von uns gefällt, was wir tun – und nieman- dem gefällt es so gut wie dem Hauptmann. Seinen Verstand mit jemandem vom Schlage eines Raker zu messen ist ein Lieblingssport von ihm. Gegenüber den Toten, den brennenden Dör- fern, den verhungernden Kindern ist er blind. Genau wie die Rebellen. Zwei blinde Heere, die nichts sehen können, nur einander.
Seelenfänger traf mitten in der Nacht in einem Schneesturm ein, der den, den Elmo hatte er- dulden müssen, weit in den Schatten stellte. Der Wind klagte und heulte. Schnee wehte gegen die nordöstliche Ecke der Festung bis zur Brüstung auf und dann hinüber. Die Hiesigen sag- ten, daß dies der schlimmste Schneesturm seit Menschengedenken sei. Auf dem Höhepunkt seiner Kraft kam Seelenfänger an. Sein donnerndes Klopfen weckte ganz Meystrikt auf. Hörner erklangen. Trommeln rollten. Die Wache am Tor brüllte gegen den Wind an. Sie bekamen das Tor nicht auf. Seelenfänger kam über die Schneewehe heraufgeklettert, fiel von der Mauer und versank fast zur Gänze im lockeren Schnee im Vorhof. Für einen der Zehn kaum eine würdevoll zu nennende Ankunft.
Ich hastete in den Großen Saal. Einauge, Schweiger und Goblin waren schon dort, und das Feuer prasselte fröhlich. Der Leutnant erschien, gefolgt vom Hauptmann. Mit dem Haupt- mann trafen auch Elmo und Raven ein. »Schickt den Rest wieder schlafen«, fauchte der Leut- nant.
Seelenfänger trat ein, legte einen schweren schwarzen Umhang ab, ging vor dem Feuer in die Hocke. Eine bewußt menschliche Geste? fragte ich mich. Seelenfängers schlanke Gestalt ist stets in schwarzes Leder gehüllt. Er trägt den schwarzen Morion, der den ganzen Kopf verbirgt, und die schwarzen Handschuhe und schwarzen Stiefel. Nur einige silberne Abzeichen durchbrechen diese finstere Monotonie. Die einzige Farbe an ihm findet sich in dem ungeschliffenen Rubin im Heft seines Dolches. Eine fünfkrallige Klaue hält den Stein am Griff der Waffe fest. Die Flachheit von Seelenfängers Brust wird von leichten, weichen Wölbungen durchbro- chen. Seine Hüften und Beine haben etwas Feminines an sich. Drei der Unterworfenen sind weiblichen Geschlechts, doch welche das sind, weiß nur die Lady. Wir nennen sie alle >er<. Ihr Geschlecht wird uns niemals etwas bedeuten. Seelenfänger behauptet, unser Freund, unser Beschützer zu sein. Dennoch brachte seine Anwesenheit eine neue Art von Kälte in den Saal. Seine Kälte hat nichts mit dem Klima zu tun. Selbst Einauge zittert, wenn er in der Nähe ist. Und Raven? Ich weiß es nicht. Raven scheint nichts mehr empfinden zu können, nur wenn es um Darling geht. Irgendwann wird dieses lange, versteinerte Gesicht eine Regung zeigen. Ich hoffe, daß ich das noch erleben kann. Seelenfänger drehte dem Feuer den Rücken zu. »Nun also.« Hohe Stimme. »Feines Wetter- chen für ein Abenteuer.« Bariton. Seltsame Laute folgten. Gelächter. Der Unterworfene hatte einen Witz gemacht.
Niemand sonst lachte.
Wir sollten auch nicht lachen. Seelenfänger wandte sich an Einauge. »Berichte.« Dies war ein langsamer sanfter Tenor, der leicht gedämpft klang, als käme er hinter einer dünnen Wand hervor. Oder aus dem Grab, wie Elmo immer sagt. Einauge verzichtete auf Prahlerei und Schaustellerei. »Wir fangen ganz von vorn an. Haupt-
mann?«
Der Hauptmann sagte: »Einer unserer Informanten bekam Wind von einem Treffen der Re- bellenanführer. Einauge, Goblin und Schweiger folgten den Bewegungen bekannter Rebel- len…«
»Ihr laßt sie frei herumlaufen?«
»Sie führen uns zu ihren Freunden.«
»Natürlich. Eine weitere Kurzsichtigkeit des Hinkers. Keine
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