Im Dienst des Seelenfängers
dieses Hühnergekritzel aus dem Norden liest?« fragte Elmo. Er hatte mich zu dem mutmaßlichen Hauptquartier des Lagers geführt. Er zeigte auf einen Berg aus Papier, den seine Männer auf dem Fußboden aufgehäuft hatten und der offenbar als Zunder für ein weiteres Feuer dienen sollte.
»Ich glaube, ich komme damit zurecht.«
»Vielleicht findest du etwas in dem Zeug.« Ich suchte aufs Geratewohl ein Blatt hervor. Es war die Kopie eines Befehls an ein Bataillon der Rebellenstreitmacht, in Lords einzusickern und sich in den Häusern örtlicher Sympathi- santen einzunisten, bis der Aufruf erging, von innen heraus gegen Lords Verteidiger loszu- schlagen. Das Blatt war mit Wisper unterzeichnet. Eine Liste von Kontaktpersonen war ange- hängt.
»Da soll mich doch«, sagte ich; ganz plötzlich war mir der Atem weggeblieben. Dieser eine Befehl verriet ein halbes Dutzend Geheimnisse der Rebellen und wies auf etliche andere hin. »Da soll mich doch.« Ich griff nach einem weiteren Blatt. Wie das erste war auch dieses eine Anweisung an eine bestimmte Einheit und, wie das erste, ein Fenster zum Herzen der aktuel- len Rebellenstrategie. »Hol den Hauptmann«, sagte ich zu Elmo. »Hol Goblin und Einauge und alle anderen, die vielleicht…«
Ich mußte einen merkwürdigen Anblick geboten haben. Elmo unterbrach mich mit einem sonderbaren beunruhigten Gesichtsausdruck: »Was zum Donner ist das, Croaker?« »Sämtliche Befehle und Pläne für den Angriff auf Lords. Die komplette Schlachtordnung.« Aber das war nicht das Wichtigste. Das sparte ich mir für den Hauptmann auf. »Und beeil dich. Es geht vielleicht um Minuten. Und niemand soll etwas in der Art verbrennen. Zur Höl- le, halt sie auf. Wir sind auf eine Goldmine gestoßen. Die soll nicht in Rauch aufgehen.« Elmo schlug die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie seine gebellten Befehle in der Ferne ver- schwanden. Elmo ist ein guter Feldwebel. Er verschwendet keine Zeit damit, Fragen zu stel- len. Mit einem Grunzen setzte ich mich auf den Fußboden und begann, die Dokumente durch- zusehen.
Die Tür knarrte. Ich sah nicht auf. Ich war wie von Sinnen, überflog die Dokumente so rasch, wie ich sie aus dem Haufen nehmen konnte, und ordnete sie in kleinere Stapel. Schlammverschmutzte Stiefel tauchten am Rande meines Sichtfeldes auf. »Kannst du das hier lesen, Raven?« Ich hatte ihn am Schritt erkannt.
»Kann ich? Ja.«
»Hilf mir; wir müssen sehen, was wir hier haben.« Raven ließ sich mir gegenüber auf dem Boden nieder. Der Haufen zwischen uns verbarg uns fast vor den Blicken der anderen. Darling blieb hinter ihm stehen, behinderte ihn nicht, war aber noch innerhalb seines schützenden Schattens. Ihr ruhiger stumpfer Blick spiegelte immer noch den Schrecken aus jenem fernen Dorf wider. In gewisser Hinsicht ist Raven ein Muster für die Kompanie als Ganzes. Der Unterschied zwischen ihm und uns besteht darin, daß er ein wenig mehr von allem ist, ein wenig überle- bensgroß. Vielleicht ist er dadurch, weil er der Neuzugang ist, der einzige Bruder aus dem Norden, ein Symbol für unser Leben im Dienste der Lady. Seine moralischen Qualen sind auch unsere moralischen Qualen geworden. Seine stumme Weigerung, im Angesicht der Wid- rigkeiten aufzuheulen und sich auf die Brust zu schlagen, ist auch zur unsrigen geworden. Wir ziehen es vor, mit den metallenen Stimmen unserer Waffen zu sprechen. Genug. Warum nach der Bedeutung suchen? Elmo war auf eine Goldmine gestoßen. Raven und ich kämmten sie nach Nuggets durch. Goblin und Einauge kamen hereingeschlendert. Keiner von ihnen konnte die Schrift des Nordens lesen. Sie vertrieben sich die Zeit damit, indem sie körperlose Schatten einander über die Wände jagen ließen. Raven warf ihnen einen gemeinen Blick zu. Ihr endloses Gekasper und Gezanke kann ermüdend werden, wenn man mit etwas beschäftigt ist. Sie sahen ihn an, hörten mit der Spielerei auf, setzten sich ruhig hin und wirkten beinahe wie gescholtene Kinder. Raven hat die Begabung, die Energie, diese Kraft der Persönlichkeit, Menschen, die gefährlicher sind als er selbst, wie in einem von ihm ausgehenden kalten fin- steren Wind frösteln zu lassen.
Der Hauptmann traf in Begleitung von Elmo und Schweiger ein. Durch die Tür sah ich eini- ge Männer in der Nähe herumlungern. Schon komisch, wie sie merken, wenn sich etwas zu- sammenbraut.
»Was hast du da, Croaker?« fragte der Hauptmann. Ich dachte mir, daß er Elmo schon ausgequetscht hatte, also kam ich gleich zur
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