Im Dienst des Seelenfängers
einen Blick, der vielleicht bedeutete, daß er mein Leid teilte. Andererseits hätte er auch Verachtung für meine Schwäche beinhalten können. Bei Raven kann man das schwer sagen. Einauge schob sich durch die Tür, kam herangestampft und ließ ein Armvoll in Ölhaut ge- wickelter Bündel fallen, an denen feuchte Erde klebte. »Du hattest recht. Die hier haben wir hinter ihrem Schlaf quartier ausgegraben.« Goblin stieß einen langgezogenen schrillen Schrei aus, so grausig wie der einer Eule, wenn man um Mitternacht allein im Wald herumläuft. Einauge rannte auf das Geräusch zu. Momente wie diese lassen mich den Ernst ihrer Feindseligkeiten bezweifeln. Goblin stöhnte: »Er ist im Turm. Er ist bei der Lady. Ich sehe Sie durch seine Augen… seine Augen… seine Augen… Die Dunkelheit! O Gott, die Dunkelheit! Nein! O Gott, nein! Nein!« Seine Worte verstiegen sich in schieres grauenerfülltes Gekreische und wurden dann zu: »Das Auge. Ich sehe das Auge. Es sieht gerade durch mich hindurch.« Raven und ich wechselten Blicke und Achselzucken. Wir wußten nicht, wovon er sprach. Goblin klang, als ob er wieder in das Kindheitsstadium zurückglitt. »Es soll mich nicht mehr ansehen. Es soll aufhören. Ich war doch artig. Es soll weggehen.« Einauge kniete neben Goblin. »Es ist schon gut. Es ist schon gut. Es ist nicht wirklich. Es wird alles wieder gut.«
Ich wechselte Blicke mit Raven. Er drehte sich um und gestikulierte zu Darling. »Ich schik- ke sie los, damit sie den Hauptmann holt.« Widerwillig verließ Darling das Zimmer. Raven nahm sich ein weiteres Blatt vom Stapel und las weiter. Dieser Raven ist so kalt wie ein Stein. Goblin schrie eine Zeitlang und wurde dann totenstill. Ich zuckte herum. Einauge hob eine Hand, die mir sagte, daß meine Dienste nicht benötigt wurden. Goblin hatte seine Nachricht aufgesagt.
Goblin entspannte sich nur langsam. Der Schrecken war aus seiner Miene gewichen. Seine Gesichtsfarbe wurde besser. Ich kniete neben ihm und befühlte seine Halsschlagader. Sein Herz hämmerte, aber der Puls wurde langsamer. »Es überrascht mich, daß es ihn diesmal nicht umgebracht hat«, sagte ich. »Ist es früher schon so schlimm gewesen?« »Nein.« Einauge ließ Goblins Hand los. »Wir sollten ihn nächstes Mal besser nicht darauf ansetzen.«
»Wird es schlimmer?« Mein Gewerbe überschneidet sich in den schattenhaften Rändern mit dem ihrigen, aber nur hier und dort. Ich wußte es einfach nicht. »Nein. Sein Selbstvertrauen wird eine Zeitlang Unterstützung brauchen. Es klang, als ob er Seelenfänger geradewegs im Herzen des Turmes begegnet sei. Ich glaube, das würde jeden umhauen.«
»Und er war bei der Lady«, hauchte ich. Ich konnte meine Erregung nicht verbergen. Goblin hatte das Innere des Turmes gesehen! Vielleicht hatte er die Lady gesehen! Nur die Zehn Un- terworfenen waren jemals im Turm gewesen. Der Volksmund stattete sein Inneres mit tausen- derlei grausiger Möglichkeiten aus. Und ich hatte einen lebenden Zeugen! »Du läßt ihn in Ruhe, Croaker. Er sagt es dir dann, wenn er dazu bereit ist.« Ein harter Un- terton schwang in Einauges Stimme mit.
Sie lachen über meine kleinen Phantasien, sie sagen, daß ich mich in ein Gespenst verliebt habe. Vielleicht haben sie recht. Manchmal jagt mir mein Interesse selbst Angst ein. Es grenzt gelegentlich an Besessenheit.
Für kurze Zeit vergaß ich meine Pflicht gegenüber Goblin. Einen Augenblick lang war er nicht länger ein Mensch, ein Bruder, ein alter Freund. Er wurde zu einer Informationsquelle. Dann zog ich mich beschämt wieder zu meinen Papieren zurück. Der Hauptmann erschien verdattert im Schlepptau einer entschlossenen Darling. »Ah ja. Ich verstehe. Er hat Verbindung aufgenommen.« Er musterte Goblin. »Hat er schon etwas gesagt? Nein? Weck ihn auf, Einauge.«
Einauge wollte schon aufbegehren, besann sich dann eines Besseren, schüttelte Goblin sanft. Goblin brauchte einige Zeit zum Aufwachen. Sein Schlaf war beinahe so tief wie eine Trance. »War es schlimm?« fragte der Hauptmann mich. Ich erklärte die Lage. Er grunzte und sagte: »Der Wagen ist unterwegs. Einer von euch packt das hier zusammen.«
Ich begann, meine Stapel zurechtzuklopfen. »Mit einem von euch meine ich Raven, Croaker. Du bleibst hier. Goblin sieht nicht beson- ders gut aus.«
Das stimmte. Er war wieder bleich geworden. Sein Atem kam flacher und schneller, er be- gann zu röcheln. »Kleb ihm eine, Einauge«, sagte ich. »Vielleicht glaubt er, daß er immer noch
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