Im Dienst ihrer Majestat
sechste. Wenn er Glück hatte, war das Magazin mittlerweile leer. Doch das würde auch nicht viel nützen. Bond hatte keine Kraft mehr für einen Kampf.
Jetzt tauchte weit hinten auf dem Gleis ein grelles, gelbes Licht auf, und ehe es von der Seilbahnstation verdeckt wurde, erkannte Bond einen Zug. Er hörte das Donnern der starken Maschine. Großer Gott, der Zug würde die Seilbahnstation gerade in dem Augenblick passieren, in dem er über die Schienen wollte! Er versuchte verzweifelt, mit den Stöcken die Fahrt zu beschleunigen. Verdammt! Ein Mann stieg aus der schwarzen Limousine, kniete nieder und zielte auf ihn. Bond wedelte hin und her. Jetzt raste er genau auf den Mann zu. Er stieß mit der Spitze des Skistockes zu und fühlte, wie sie durch die Kleider drang. Der Mann schrie auf und stürzte nieder. Bonds anderer Verfolger, nur noch wenige Meter hinter ihm, brüllte ebenfalls. Im Schein des großen gelben Auges erkannte Bond einen gewaltigen Schneepflug, der den Schnee vor der Lokomotive in zwei Fontänen nach rechts und links sprühte. Da tauchte der Bahndamm vor ihm auf. Er stieß sich mit den Stöcken ab. Ein gellender Pfiff. Wenige Meter vor der Lokomotive schlitterte er über die Gleise, landete drüben auf der vereisten Landstraße und prallte gegen eine Schneemauer. Hinter ihm ein grauenvoller Schrei . . . Holz splitterte . . . Die Zugbremsen kreischten . . . Der beiseite geschleuderte Schnee färbte sich rot . . .
Bond wischte ihn sich aus dem Gesicht und sah ihn an. Sein Magen drehte sich um. Der Mann hatte ihm zu folgen versucht und war dabei in die Pflugschar geraten. Hackfleisch! Bond nahm eine Handvoll sauberen Schnee und rieb sich damit das Gesicht und die Windjacke ab. Plötzlich bemerkte er, daß sich mehrere Fenster des hellerleuchteten Zuges über ihm öffneten. Einige Reisende waren ausgestiegen. Er riß sich zusammen und stieß sich mit den Stöcken auf der vereisten Straße vorwärts.
Irgendwie brachte es Bond fertig, die drei Kilometer auf der leicht abfallenden Straße nach Samaden durchzustehen. Endlich tauchten die ersehnten schutzbietenden Lichter auf! Der schlanke Turm der Dorfkirche wurde von Scheinwerfern angestrahlt, und alle Häuser waren hell erleuchtet. Walzerklänge drangen durch die kalte Luft. Die Eisbahn! Der Weihnachtsball der Schlittschuhläufer! Das war das richtige. Dort konnte er untertauchen und sich der zweifachen Jagd entziehen, die nun auf ihn losgehen würde - Spectre und Schweizer Polizei, Räuber und Gendarmen Hand in Hand!
Wie betäubt schleppte er sich weiter. Viele Autos waren um die Eisbahn geparkt, Skier steckten im Schnee. Ober dem Eingang hing ein riesiges Plakat, das in drei Sprachen ankündigte: »Großer Weihnachtsball! Kostümzwang!
Eintritt zwei Franken! Gäste willkommen!«
Bond beugte sich mühsam hinunter, um seine Bindungen zu lösen. Wenn er sich doch nur hinlegen könnte! In den einladenden Schnee! Er gab sich einen Ruck, schob Skier und Stöcke unter das nächste Auto und wankte zum Eingang. Der Mann an der Kasse war stockbetrunken. Er sah Bond kaum an. »Zwei Franken. Two francs. Deux francs.« Bond hielt sich am Tisch fest, legte die Münze hin und bekam sein Billett. Der Mann erklärte lallend: »Kostümzwang!« Er langte in eine Schachtel neben sich und warf Bond eine schwarze Maske hin. »Ein Franken!« Er versuchte ein Lächeln. »Jetzt sind Sie ein Gangster, ein Spion!«
Bond zahlte, setzte die Maske auf und torkelte durch den Eingang. Rings um die Eisbahn waren Holzbänke aufgestellt. Bond ließ sich auf einen leeren Platz fallen und vergrub den Kopf in den Händen. Das Mädchen neben ihm rückte von ihm ab. Es war ihm gleich! An einem Abend wie diesem würden Sie ihn nicht hinauswerfen. Der Lautsprecher verkündete: »Meine Damen und Herren, der letzte Tanz. Und dann bitte alles zur großen Polonäse auf die Eisfläche. Der letzte Tanz! Noch zehn Minuten bis Mitternacht!« Auch das noch, dachte Bond und schlief ein.
Jemand rüttelte ihn an der Schulter. »Auf die Eisfläche, bitte. Bitte alle auf die Eisfläche zur Polonäse!« Ein Mann in rotgelber Uniform stand neben ihm.
»Scheren Sie sich zum Teufel!« sagte Bond dumpf. Doch dann warnte ihn eine innere Stimme, keine Szene zu machen, nicht aufzufallen. Er wankte zur Eisfläche und blieb mit gesenktem Kopf stehen. Er sah nach rechts und links, entdeckte eine Lücke in der langen Reihe und rutschte vorsichtig darauf zu. Eine Hand streckte sich ihm entgegen, die er dankbar
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