Im Dienste der Comtesse
verstand. Er war wieder bei ihr. Er war in Sicherheit. Und plötzlich fühlte sie die völlig absurde Entschlossenheit in sich aufsteigen, ihn nie wieder fortgehen zu lassen.
Als er sie hochhob, wurde ihr das zuerst gar nicht bewusst. Erst als er anfing, sie durch das Atelier zu tragen, hob sie den Kopf von seiner Schulter. „Was …?“
„Ich bin müde, meine Liebe“, sagte er mit leicht belustigtem Unterton. „Deshalb setze ich mich jetzt hin, und Sie können weinen, so lange sie wollen.“
„Sie sind verletzt.“ Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und sah Pierre prüfend an. „Was ist geschehen? Wo sind Sie verletzt?“
„Mir fehlt nichts, ich bin nur ein wenig erschöpft“, gab er widerstrebend zu, als sei ihm dieses Eingeständnis seiner Schwäche fast ein wenig peinlich. „Ich habe schon oft größere körperliche Anstrengungen durchgemacht – aber so eine Belagerung …“
„Sie waren also tatsächlich in der Bastille. Wie kam das? Sie sollten doch zu Monsieur Barrière gehen. Sein Büro ist in der entgegengesetzten Richtung. Sie hatten versprochen, sich nicht in irgendwelche Gefechte verwickeln zu lassen. Sie sagten, Sie würden sich völlig unauffällig verhalten. Sie hatten verspro chen , dass niemand auf Sie aufmerksam werden würde …“
„Schsch!“ Leise lachend legte er ihr den Finger auf die Lippen. „Ich war unauffällig und niemand ist auf mich aufmerksam geworden.“
„Aber wie …?“
„Ich wurde von der Menge mitgerissen.“
„Das wäre nie passiert, wenn Sie es nicht gewollt hätten.“
„Sie schmeicheln mir.“ Er schmunzelte, doch dann strich er ihr leicht über die tränennasse Wange, im selben Moment erstarb sein Lächeln. „Ich habe Sie noch nie weinen sehen“, sagte er.
Peinlich berührt wandte sie den Blick ab. „Das kommt durchaus vor.“
„Nicht nach der Gesellschaft, nicht nach dem Besuch Ihres Vaters, nicht einmal nach Daniels Besuch.“
„Das können Sie doch gar nicht wissen.“
„Haben Sie denn geweint?“
„Nein.“
Er drehte ihren Kopf zu sich herum. Im Kerzenschein konnte sie die dunkleren Einsprengsel rund um seine Pupillen sehen. Dann legte er die Hand auf ihren Hinterkopf und zog sie langsam immer näher zu sich, bis ihre Lippen sich trafen.
Sie schloss die Augen. Mit sanfter Zunge liebkoste er ihren Mund, und sie öffnete unwillkürlich die Lippen. Sie konnte das Salz ihrer Tränen schmecken, aber er küsste sie so leidenschaftlich, dass sie schon bald ganz benommen vor Wonne war und alles andere außer ihm um sich herum vergaß. Deutlich war sie sich der straffen Muskeln seiner Oberschenkel unter ihren Beinen bewusst, seines Arms, den er um sie gelegt hatte. Sie berührte sein Gesicht und sein Haar.
Als ihr ganzer Körper vor Lust vibrierte, gab er sie plötzlich frei. Seufzend lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Nach der großen Angst, die sie den ganzen Tag verspürt hatte, war sie jetzt vollkommen betört von der tröstlichen Stärke seiner Umarmung.
„Küsse sollten Prinzessinnen eigentlich wecken – und nicht zum Einschlafen bringen“, meinte er nach einer Weile.
„Ich schlafe nicht“, widersprach sie und schlug die Augen auf. „Und eine Prinzessin bin ich nicht.“
„So betrachtet bin ich auch kein Prinz.“
„Für mich schon.“ Sie war jetzt zu gelöst, um ihre Zunge zu hüten.
Er sagte nichts. An der Art, wie er sie hielt, hatte sich nichts geändert, aber sein anhaltendes Schweigen deutete sie als Zurückweisung.
Einen Moment lang blieb sie noch so sitzen, dann hob sie den Kopf. Sie ließ sich nichts anmerken, machte aber auch keine Anstalten, sich von seinem Schoß zu erheben. Pierre selbst hatte sie zu sich gezogen, und sie fühlte sich wohl in seinen Armen. „Erzählen Sie mir, was geschehen ist“, sagte sie. „Da Sie meine Anweisungen nicht befolgt haben und ich den ganzen Tag auf Ihre Dienste verzichten musste, schulden Sie mir jetzt einen genauen Bericht darüber, was Sie heute getan haben.“
„Sie sind eine sehr anspruchsvolle Herrin.“ Er lächelte leicht. „Also gut. Ich war auf dem Weg zum Hôtel de Gilocourt, als ich von der Menge zum Invalidendom mitgerissen wurde.“
Während er erzählte, nahm er ihre Hand und fing an, behutsam mit ihren Fingern zu spielen. Er war so auf seine Geschichte konzentriert, dass er anscheinend gar nicht merkte, was er tat. Obwohl sie wirklich erfahren wollte, was er erlebt hatte, fragte sie sich unwillkürlich, was es zu bedeuten hatte, dass
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