Im Dienste der Comtesse
Lippen ihr Ohrläppchen fand, überlief sie ein lustvoller Schauer. „Saint-André wird Ihr Bett nicht bekommen“, flüsterte er plötzlich dicht an ihrem Ohr.
Eine Weile blieb sie völlig regungslos sitzen, dann richtete sie sich auf. „Ich kann ihn doch nicht auf einer Pritsche schlafen lassen!“, protestierte sie.
„O ja, das können Sie. Sie bringen ihn in Verlegenheit, wenn Sie ihm Ihr Bett anbieten – vor allem unter diesen Umständen. Er könnte Ihre guten Absichten vielleicht sogar missverstehen.“
Sie hielt erschrocken den Atem an. In ihrer Entschlossenheit, eine gute Gastgeberin zu sein, und abgelenkt durch Pierres Küsse, hatte sie diese Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen. „Haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen? Sie hätten ihn doch bestimmt nicht hergebracht, wenn Sie der Ansicht gewesen wären, er könnte sich … unschicklich benehmen. Oder?“
„Nein. Ja.“ Pierre runzelte die Stirn. „Madame, Sie stellen mir so viele Fragen, dass ich gar nicht weiß, welche ich zuerst beantworten soll. Ich denke nicht, dass Saint-André eine Bedrohung für Ihren Seelenfrieden darstellt, aber Sie sollten selbst mit ihm sprechen.“
„Ja, das werde ich tun.“ Obwohl sie am liebsten mit Pierre im Atelier geblieben wäre, machte sie Anstalten aufzustehen. Er hielt sie zurück, und sie ergab sich in der Hoffnung, er würde sie wieder küssen. Seine Miene war jedoch so ernst, dass eine dunkle Vorahnung von ihr Besitz ergriff.
„Hat Ihnen schon jemand vom Gouverneur erzählt?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Wir habe nur erfahren, dass die Bastille gestürmt worden ist. Manchmal ist es nicht leicht, sich einen Reim auf Gerüchte zu machen.“
„Der Pöbel hat ihn umgebracht“, berichtete Pierre ruhig. „Besser, Sie hören das jetzt gleich, als später davon überrascht zu werden.“ Er schwieg kurz. „Sie haben seinen Kopf auf einer Stange durch die Straßen getragen.“
„Großer Gott!“ Sie schlug die Hände vor den Mund. Sie hatte den Marquis de Launay nur einmal gesehen, als sie Saint-André besucht hatte, dennoch war sie zutiefst schockiert. Sie schlang die Arme um Pierre und drückte ihn fest. „Sie sind so leichtsinnig, dass man Sie nicht allein lassen kann. Keine weiteren Heldentaten dieser Art mehr, haben Sie verstanden?“, murmelte sie erstickt.
„Es war diesmal reiner Zufall, dass ich dabei war“, protestierte er.
„Saint-André war dort“, sagte sie und richtete sich auf. „Halten Sie mich für so dumm, nicht zu begreifen, dass Sie genau deswegen dort geblieben sind und an der Stürmung teilgenommen haben? Sie wussten, dass seine Einkerkerung ungerecht war. Sie wussten, wie ungemein schwierig es werden würde, ihn auf andere Weise freizubekommen. Aber nun ist er frei, und es besteht kein Anlass, sich weiter in solche Abenteuer zu stürzen.“
Pierre tat zerknirscht und lächelte. „Wie Sie wünschen, Madame.“
„Was wird jetzt geschehen, nachdem die Bastille gefallen ist?“
„Die besonneneren Köpfe warten die Reaktion des Königs ab“, erklärte er.
Plötzlich befiel sie Furcht bei dem Gedanken an die Truppen, die auf dem Champ de Mars lagerten. „Küssen Sie mich noch einmal“, bat sie.
„Das ist das letzte Mal, Madame.“
„Hm“, murmelte sie genießerisch, als sie seinen Mund auf ihren Lippen spürte. Heute Abend , dachte sie. Das letzte Mal.
11. KAPITEL
Trotz ihrer Erleichterung über Saint-Andrés Befreiung und ihrer Entschlossenheit, eine gute Gastgeberin zu sein, fühlte Mélusine sich äußerst befangen, als sie den blauen Salon betrat. Saint-André saß still bei Kerzenlicht. Zwar lag ein Buch auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel, aber er las nicht darin. Er schien völlig in Gedanken versunken, doch sobald er die Tür hörte, drehte er sich um und stand auf.
„Madame.“ Er verneigte sich mit gewohnter Anmut, aber mit einem gewissen Unbehagen. „Ich bedauere, dass ich in so unordentlicher Aufmachung vor Sie treten muss …“ Er verstummte, als er an ihr vorbei zu Pierre sah, der hinter ihr den Raum betreten hatte.
Mélusine drehte sich kurz um. Pierre hatte wieder seine ungerührte Dienermiene aufgesetzt, dennoch spürte sie eine stumme Verständigung zwischen den beiden Männern.
„Die Erleichterung über Ihre Befreiung dürfte wohl größer sein als eine etwaige Befremdung über Ihre Aufmachung“, bemerkte Pierre.
Saint-André runzelte die Stirn. „Es verstößt immens gegen die Etikette, im Salon einer
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