Im Dienste der Comtesse
Vorschlag machte?“ Saint-André seufzte. „Bertier war viele Jahre lang mein Freund. Bitte, glauben Sie nicht, dass ich sein Verhalten in den Monaten und Tagen vor seinem Tod gutgeheißen hätte, auch wenn ich seine Gründe nachvollziehen kann.“
„Sie wissen mehr als wir.“ Pierre meldete sich zum ersten Mal zu Wort, seit sie Platz genommen hatten.
„Verzeihen Sie mir. Meine Gedanken schweifen heute Nacht immer wieder ab“, bemerkte Saint-André.
„Ich glaube vielmehr, Monsieur, dass Sie versuchen, mich zu schonen“, widersprach Mélusine. „Die meiste Zeit unserer Ehe war Bertier nicht unfreundlich zu mir, und es war so großzügig von ihm, mir dieses Haus und weitere zu vermachen. Wenn ich vielleicht besser verstehen könnte, warum er Sie gebeten hat …“ Sie räusperte sich leicht. „Bitte, erzählen Sie.“
Eine Weile lang sagte Saint-André nichts. Mélusine fiel auf, dass das Glas neben ihm auf dem Tisch leer war. Sie sah die fast noch volle Weinkaraffe auf der Anrichte; offenbar war der Marquis ein genügsamer Gast. Sie wollte sich gerade erheben, doch Pierre hatte ihren Blick bemerkt und kam ihr zuvor. Er stand auf und schenkte Saint-André ein.
Der Marquis lächelte leicht. „Normalerweise trinke ich mir nicht Mut an“, sagte er. „Aber ich weiß Ihre Aufmerksamkeit zu schätzen.“ Er nahm einen Schluck Wein. „Comtesse, sicher haben Sie schon vermutet, dass Bertier nicht imstande war, Kinder zu zeugen.“
Sie nickte.
„Er selbst merkte das erst, als Sie schon über ein Jahr verheiratet waren. Wie alle anderen hatte er geglaubt, es hätte an seiner ersten Frau gelegen, dass seine erste Ehe kinderlos geblieben war. Natürlich gab es Mätressen, doch bis zu dem Zeitpunkt, als der Titel auf ihn überging, hatte er sich keine Gedanken über einen nötigen Erben gemacht.“
„Deshalb heiratete er mich“, stellte Mélusine fest.
„Ich würde gern sagen, er hätte romantischere Motive gehabt, aber ich weiß, dass Sie ihm vor Unterzeichnung des Ehevertrags noch nicht begegnet waren. Er hat Sie vorher beobachten lassen und fand Sie sehr charmant.“
„Das wusste ich nicht.“ Diese Enthüllung verstörte sie ein wenig. „Mir war klar, dass er eine Geliebte hatte, auch wenn Séraphin das bestreitet.“
„Ja, Bertier hatte eine Geliebte“, bestätigte Saint-André. „Julie Dubois …“
„Ihren Namen habe ich nie erfahren.“
„Er mochte Julie sehr gern.“
„Hat er sie geliebt?“
Saint-André zögerte. „Ich glaube, er hat sie mehr geliebt, als ihm bewusst war. Er war am Boden zerstört, als er sie verlor.“
„Wie kam es dazu?“
„Ein anderer Mann verführte sie. Sie wich Bertier immer mehr aus, und dann sah er die beiden eines Tages zusammen.“
„War das damals, als er auf einmal so mürrisch wurde?“
Der Marquis nickte. „Er war verletzt und zornig. Vielleicht kommt es Ihnen unlogisch vor, Madame, aber er fühlte sich bitter hintergangen. Ich glaube, mit der Zeit hätte sich seine Laune wieder gebessert, doch schließlich sah er Julie wieder – und sie war in anderen Umständen. Da wurde ihm bewusst, dass er niemals Kinder haben würde. Das geschah am Morgen jenes Tages, an dem Sie unser Gespräch mitanhörten.“
Mélusine hielt den Atem an. Sie war sich nicht sicher, ob sie Bertier jemals vergeben konnte, was er mit ihr vorgehabt hatte. Aber jetzt vermochte sie es besser nachzuvollziehen, was ihn dazu getrieben hatte. „Also hat er beschlossen, um jeden Preis einen Erben vorweisen zu können, und das Mittel zum Zweck sollten Sie sein“, brachte sie mühsam hervor. „Auch für Sie muss dieses Gespräch sehr … unangenehm gewesen sein, Monsieur.“
„In der Tat“, bestätigte er. „Mir war klar, es hatte keinen Sinn, in dieser Stimmung mit ihm zu streiten. Ich wollte abwarten, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte, um dann vernünftig mit ihm zu reden. Ich bedauere, dass es dazu nicht mehr kommen konnte.“ Er klang aufrichtig bedrückt.
„Ich danke Ihnen, dass Sie mir alles berichtet haben“, bemerkte Mélusine.
„Wer war der Mann, der Julie verführt hat?“, fragte Pierre plötzlich.
Saint-André sah ihn an. Er sagte zwar nichts, aber Mélusine bemerkte die verstohlene Warnung in seinem Blick. Sie hatte das unerklärliche, aber völlig sichere Gefühl, dass die beiden Männer das Gespräch in ihrer Abwesenheit fortsetzen würden, wenn sie jetzt nichts unternahm. Der Gedanke machte sie so wütend, dass sie unwillkürlich aufsprang.
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