Im Dienste Der Koenigin
mehrere dieser unappetitlichen Pamphlete mit nach Hause brachte. Marie fühlte sich, wie meistens in letzter Zeit, unwohl und war den ganzen Tag daheim in ihrem Palais geblieben.
Sie war ständig müde und erschöpft und sogar das Besteigen ihrer Kutsche bereitete ihr mittlerweile Schwierigkeiten. Außerdem befürchtete sie, erneut von revolutionär gesinnten Parisern mit faulen Eiern und Steinen beworfen zu werden.
»Meistens beißt Königin Anna die Zähne zusammen und bewahrt Haltung, indem sie das gemeine Gegröle einfach überhört, hat mir meine Schwester berichtet. Aber hin und wieder regt sich ihr Jähzorn und sie schreit dann unbeherrscht: ›Ich will, dass der unverschämte Pöbel erschossen wird von meinen Musketieren, damit endlich Ruhe einkehrt‹«, führte Marie weiter aus.
Monsieur Claude zuckte nur - wie meistens - ratlos mit den Schultern und wandte sich ab. Aus Furcht davor, das Falsche zu sagen, äußerte er sich eigentlich nie zu politischen Themen - noch nicht einmal vor seiner eigenen Frau.
Zum Glück für Anna war der Kardinal diplomatischer veranlagt als sie.
»Madame, von Gewalt würde ich ganz dringend abraten! Wir würden damit nur denjenigen einen Gefallen erweisen, die den Mob gegen uns aufhetzen. Sollten wir ein Blutbad anrichten, würde man uns schlimmere Tyrannen als Kaiser Nero
heißen. Lassen wir sie grölen und ihre Wut herausschreien. Wer singt und plärrt, macht keinen anderen - und noch schlimmeren - Unfug.«
Anna sah ein, dass ihr Geliebter Recht hatte, aber es fiel ihr schwer, ihre ungeheure Wut zu bezähmen. Wusste sie doch nur zu genau, wer hinter all diesen Attacken steckte, die sie zermürben, ihren Ruf untergraben und sie schließlich reif machen sollten, ihren Regierungsanspruch aufzugeben.
»Niemals wird es geschehen, dass ich Monsieur Gaston triumphieren lasse über mich und meinen Sohn, König Ludwig«, verkündete die Regentin schließlich gefasst und der Kardinal küsste erleichtert eine ihrer immer noch lilienweißen Hände.
Annas leidenschaftlicher Zorn war nicht nur für ihn, sondern auch für Anna selbst in hohem Maße ungewohnt. Die sonst so fromme und in allen Dingen gemäßigte Frau vermochte sich an manchen Tagen selbst kaum wiederzuerkennen; doch sobald irgendjemand das Wohlergehen ihrer beiden Söhne zu gefährden drohte, verwandelte sich die sanftmütige Regentin in eine Löwin.
KAPITEL 70
ALLMÄHLICH SCHIEN MARIE de Chevreuse mehr und mehr in der Vergangenheit zu leben. Mit Vorliebe erzählte sie denen, die es hören wollten - oder auch nicht -, von ihren früheren männlichen Eroberungen. Bei zwanglosen Zusammenkünften in ihrem Salon pflegte sie ihre Zuhörer mit längst vergessenen Geschichten zu »unterhalten«, wobei die allzu
rundlich gewordene Herzogin einen Schokoladenkeks nach dem anderen verschlang.
»Wer, um Himmels willen, interessiert sich denn jetzt noch für ihre Liebesaffären?«, dachte Céleste unwillkürlich, die stets Zeugin der Reminiszenzen ihrer Schwester war. Schließlich schauten die Menschen heute auf Anna und ihren Geliebten Mazarin; die glanzvollen Tage einer Marie de Chevreuse waren am französischen Hof längst vorüber. Doch ihre Schwester wollte dies offenbar nicht so recht wahrhaben, wie Céleste bemerkte; überhaupt schien Marie mehr und mehr in ihrer eigenen Welt zu leben und sich für ihr Umfeld nurmehr sehr bedingt zu interessieren.
»Warum sollte nicht ich, der leibliche Bruder des verstorbenen Königs, die Regentschaft für den zukünftigen Monarchen führen? Wozu bedarf es dazu einer Spanierin?«, warf Monsieur Gaston in die Runde und streifte sich nebenbei ein Paar parfümierter Handschuhe aus hellbraunem Chevreauleder über. Er erntete damit bei den Herren seiner Gefolgschaft lebhafte Zustimmung. Der Bruder Ludwigs XIII. übersah dabei ganz, dass sich der Herzog von Loudan unter den Herren befand, die ihn zu einem Ausritt in den Bois de Boulogne abholen wollten.
Er hätte sich sonst mit seinen Äußerungen mit Sicherheit zurückgehalten: Der schmächtige und zurückhaltende Herzog stand im Ruf, es mit der Regentin zu halten.
»Eure königliche Hoheit ist in weit höherem Maße dazu fähig, ja geradezu prädestiniert, im Gegensatz zu dieser landfremden Person, die ein Leben lang im Unfrieden mit Seiner verstorbenen Majestät gelebt hat. Erst in den letzten Lebenstagen des Königs hat sie es geschafft, ihn zu überreden, ihr die Regentschaft zu übertragen. Das war ein Fehler, den
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