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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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»Vielleicht hängen die Schnapsflasche und die mysteriösen Todesfälle in deiner Familie zusammen.«
    Stille trat ein.
    Ebba musste sich am Tisch abstützen, so schwach fühlte sie sich plötzlich.
    Â»Du glaubst also auch, dass nicht alles so normal zugegangen ist, wie die Polizei meint?«, flüsterte sie nach einer Weile. Ein unkontrollierbares Beben erfasste sie, und sie setzte sich, um sich nichts anmerken zu lassen.
    Jörg hob hilflos die Arme. »Keine Ahnung. Aber ich würde den Dingen gern auf den Grund gehen. Darf ich?«
    Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, und war dankbar, dass er ruhig abwartete.
    Â»Das Bild«, sagte sie noch einmal und deutete auf die gerahmte Fotografie. »Woher hatte dein Großvater es?«
    Jörgs Augen wurden dunkel. Er wich ihrem Blick aus, starrte das Foto an. »Die beiden waren Freunde, sie lernten sich aber erst hier in Baden-Baden kennen. Sie hatten ein ähnliches Schicksal, wenngleich Opa Anton etwas älter war und deshalb von den Offizieren in Ruhe gelassen wurde«, murmelte er schließlich.
    Â»Anton? Toni … Jetzt verstehe ich. Dein Opa war Toni?« Ebba studierte das Foto und schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Toni war groß und kräftig und hatte so dunkle Haare wie du und einen Bart.«
    Jörg nahm ihr das Bild aus der Hand. »Das Foto entstand kurz vor seinem Tod. Da war er seit elf Jahren nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, und die Haare waren ihm ausgegangen.« Er befeuchtete seine Lippen, wie um sie zum Weitersprechen zu überreden. »Damals war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Es war grauenhaft. Er … Er hat sehr gelitten.«
    Jörg stellte den Rahmen zurück und machte sich angestrengt an den Dokumenten zu schaffen.
    Ebba hatte das Gefühl, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. »Was verschweigst du mir? Woran hat er gelitten? Hatte es etwas mit meinem Vater zu tun? Rede mit mir!«
    Jörg setzte sich, bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Als er endlich hochsah, hatte er Tränen in den Augen. »Bitte«, sagte er tonlos. »Ich werde es dir erklären. Irgendwann. Aber nicht jetzt. Ich habe es ihm versprochen. Auf dem Totenbett.«
    Â»Wann starb dein Opa?«
    Â»2006. Kurz vor der Eröffnung deiner Galerie.«
    Ebba blieb die Luft weg. »Es war also kein Zufall, dass ausgerechnet du damals zum Fotoshooting gekommen bist«, flüsterte sie schockiert.
    Jörg stopfte sein Material in einen großen, braunen Umschlag, ohne aufzublicken. Dabei schob er sein Kinn vor und mahlte mit den Kiefern.
    Sein fast verzweifeltes Schweigen alarmierte sie. Ihre Gedanken überschlugen sich, dann, wie in Zeitlupe, fiel ein weiteres Puzzlesteinchen an seinen Platz: 2006 – das letzte Weihnachtsfest, an dem Georg noch gelebt hatte. Ebba konnte sich selbst fast nicht hören, als sich die nächste Frage hinausdrängte. Sie musste allen Mut zusammennehmen, um sie zu stellen. »Gibt es einen Zusammenhang zwischen deinem Großvater und den Todesfällen in meiner Familie?«
    Aber Jörg antwortete nicht.
    Ihr wurde kalt. Der Orkan, der während seiner Schilderungen durch ihren Kopf gebraust war, hatte sich gelegt. Vielleicht hatte Jörg genau das Richtige getan, indem er in der Vergangenheit stocherte. Vielleicht würden sie gemeinsam aufdecken, was wirklich geschehen war. Mit Jörgs Hilfe könnte sie es schaffen. Vielleicht. Aber sie wollte die Fäden in der Hand behalten.
    Â»Also gut«, sagte sie schließlich langsam. »Offenbar haben wir beide ein Interesse daran, die Vergangenheit unserer Lieben zu untersuchen. Ich bin einverstanden. Aber erstens: Ich möchte alles Material haben, alle Unterlagen, Fotos, Dateien, Links, Anschriften, Namen, die du gesammelt hast. Ich werde es durcharbeiten und dann mit dir absprechen, wie wir weiter vorgehen. Keine Alleingänge mehr. Okay?«
    Er nickte. »Und zweitens?«
    Â»Der Unfall meines Vaters ist und bleibt tabu.«

Fünfunddreißig
    Dezember 2011
    Â»Böhmen liegt am Meer« war Ebbas Lieblingsbild, und Anselm Kiefer neben Gerhard Richter ihr Favorit unter den lebenden deutschen Malern. Leider war Kiefer nicht persönlich zur Eröffnung der großen Ausstellung von zwanzig seiner bedeutendsten großformatigen Werke aus der Sammlung Grothe ins Burda-Museum gekommen, zu der sogar seine brandneue Arbeit »Essence«

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