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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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was für einen Betrieb ihr hattet.«
    Â»Darüber rede ich nicht gern. Ich hoffe, du läufst nicht schreiend davon.«
    Â»Bestimmt nicht.«
    Â»Na, ich weiß nicht. Ich habe schon als Kind lieber erzählt, dass wir eine Art Schreinerei betrieben. Irgendwann kamen meine Schulkameraden natürlich dahinter, dass das nicht stimmte, und danach hörten die Hänseleien nie mehr auf.«
    Â»Also, jetzt steh ich komplett auf der Leitung.«
    Er stopfte seine Hände in die Jackentaschen und sah angestrengt zu Boden.
    Â»Bestattungsunternehmen«, murmelte er zwischen den Zähnen hindurch. »Dritte Generation.«
    Â»Oh, mein Gott! Jetzt verstehe ich. Das muss – schwierig gewesen sein.«
    Thomas blieb mit blitzenden Augen stehen. »Schwierig? Du hast ja keine Ahnung!« Er brach einen Zweig von einem kahlen Busch ab und zerpflückte ihn in kleine Teile, die er von sich schleuderte. »Keine Ahnung!«
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Tut mir leid.«
    Â»Muss es nicht. Ich kann dir sagen, dass es schrecklich war. Als Emmi geboren wurde, war ich sieben. Es ging meiner Mutter schon in der Schwangerschaft nicht gut, also musste ich noch vor meiner Einschulung einspringen. Dann war Emmi da, und es war klar, dass sich meine Mutter intensiv um die Kleine kümmern musste. Ein Jahr später kam Kathrin. Gesund, Gott sei Dank. Für mich wurde es nicht unbedingt leichter. Jede Hand wurde gebraucht, da war mein Vater nicht zimperlich, auch wenn meine Mutter natürlich – wenn auch vergeblich – versuchte, mich so gut es ging fernzuhalten.«
    Â»Hast du etwa direkt …«
    Â»Mit den Leichen zu tun gehabt? Ja.«
    Â»Mit sieben? Um Himmels willen!«
    Â»Mit sechs. Man gewöhnt sich daran.«
    Â»Das glaube ich nicht. Du warst ein Kind. Du musst dich doch gefürchtet haben.«
    Â»Man lernt, sie als Sachen zu betrachten.«
    Â»Aber …«
    Â»Ich möchte nicht ins Detail gehen, bitte! Jedenfalls wuchs in mir während dieser Zeit der Wunsch, als Erwachsener alles anders zu machen. Niemals würde ich das Geschäft weiterführen, das habe ich meinem Vater schon ganz früh und sehr bestimmt gesagt.«
    Â»Zum Glück ist deine Schwester eingesprungen, nicht wahr?«
    Â»Kathrin?« Er wirkte zerstreut. »Ja, du hast recht. Natürlich.«
    Ebba wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was Thomas als Kind gesehen und getan hatte. Das war doch grausig! Kein Wunder, dass er nicht über den Betrieb sprach.
    Â»Was hast du anders machen wollen?«, versuchte sie es nach einer Weile sanft.
    Â»Ich wollte Arzt werden. Ich wollte den Menschen helfen zu leben. Ich wollte sie abhalten, dahin zu kommen, wo mein Vater wartete. Ich wollte den Tod bekämpfen – mein Vater gab sich ihm hin und machte sogar noch Geld damit. Nun ja, mehr oder weniger. Große Dinge konnten wir uns nicht leisten. Immerhin versprach er, mir zu helfen, und hat mir trotz der Aufwendungen für Emmi mehr recht als schlecht den Beginn des Medizinstudiums ermöglicht. Dafür bin ich ihm auf ewig dankbar.«
    Â»Ich dachte …«
    Â»Emmi war inzwischen im Heim und Kathrin halbwüchsig, da starb meine Mutter. Brustkrebs. Sie ging lange nicht zum Arzt, und als sie es nicht mehr aushielt, war es zu spät. Der Krebs saß überall, auch im Kopf. Da war nichts mehr zu machen. Es war furchtbar für mich, mitansehen zu müssen, wie sie starb, ohne dass ihr jemand helfen konnte. Aber es beflügelte mich weiterzustudieren. Ich war wie besessen von der Idee, bald Menschen heilen zu können.«
    Â»Das kann ich mir gut vorstellen.«
    Â»Es war schwer, weil ich in den Semesterferien und am Wochenende aushelfen musste. Vater kam fast nicht mehr nach mit der Arbeit, Personal war damals schwer zu bekommen. Und ich wollte auf keinen Fall, dass Kathrin zu früh mit Dingen in Berührung kam, die man als Kind nicht tun und sehen sollte.«
    Â»Du bist also gar kein Heilpraktiker, sondern Arzt?«
    Â»Nein!« Er schrie es hinaus, dann atmete er mehrfach langsam ein und aus und beruhigte sich. »Sie mussten an einem Abend noch mal raus und hatten einen Unfall. Kathrin wurde schwer verletzt, mein Vater starb.«
    Ebba blieb beklommen stehen. Eine böse Ahnung sprang sie an.
    Â»Wann war das?«, fragte sie.
    Â»Wann er starb? Im Frühjahr 1996.«
    Ihr fiel ein Stein vom Herzen.

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