Im Dunkel der Schuld
jemanden einen Verdacht aufzubauen. Du setzt etwas in die Welt, und der andere ist plötzlich in Beweisnot.«
»Du hast dir die Fragen gerade aus den Fingern gesogen?«
»Genau.«
»Es hat sich so â echt angehört! Als wüsstest du etwas über ihn, von dem sonst niemand Kenntnis hat.«
»Na bitte. Genau das wollte ich erreichen. Kapierst du jetzt, wie er dich manipuliert?«
»Unglaublich. So ähnlich ging es mir mit der Schnapsflasche. Ich hatte sie schon als harmlos abgetan, da machte er die groÃe Verschwörung daraus.«
Thomas setzte sich zu ihr aufs Bett. »Welche Schnapsflasche?«
Sie merkte, wie sich ihr die Haare sträubten. Da war etwas, zum Greifen nahe. Etwas, das sie bislang übersehen hatte. Aber sie kam nicht drauf.
»Nicht so wichtig.«
»Ach, Ebba, das stimmt doch gar nicht. Es macht dir Angst, das kann ich sehen. Was ist mit Jörg und dieser Schnapsflasche?«
Sie wollte ihm die Details nicht erzählen. »Gar nichts. Jedes Jahr liegt eine Flasche auf dem Grab meines Vaters. Mehr nicht«, wiegelte sie ab.
»Lass mich raten. Du vermutest, dass Jörg sie dorthin gelegt hat?«
»Nicht immer.«
»Aber? Beim letzten Mal vielleicht? War es so? Lass dir die Würmer doch nicht aus der Nase ziehen. Ich will dir helfen. Zu zweit sieht man Dinge oft klarer.«
Vielleicht hatte er recht. Vielleicht konnte er ihr helfen, dieses »Etwas«, das sich bei der Erwähnung der Flasche und des Friedhofs herangeschlichen und sich dann wieder verflüchtigt hatte, doch noch festzunageln. In groben Zügen berichtete sie ihm von den Vorgängen, auch von ihrem vergeblichen Versuch, dem Mann nachts aufzulauern, ebenso wie von ihrem Erschrecken, als die Flasche am nächsten Tag doch wieder auf dem Grab lag.
»Kann Jörg etwas damit zu tun haben?«
»Quatsch. Er kam erst dazu, als ich die Flasche entdeckt hatte. Aber â¦Â«
»Was?«
»Er war an jenem Vormittag für eine längere Zeit weg gewesen.«
»Siehst du!«
Ebba versuchte sich genau an die Situation zu erinnern.
Und was ging ihr da noch im Kopf herum? Abseits, schleichend, wie hinter einem Gebüsch versteckt? Als sie die Friedhofsszene geschildert hatte, war es fast wieder greifbar gewesen, sie hätte nur aufhören müssen zu reden, dann hätte sie den Gedankenfetzen bestimmt greifen können.
Erschöpft seufzte sie.
»Soll ich bleiben?«, hörte sie Thomasâ Stimme.
Sie sah ihn überrascht an. Er drehte sich zur Seite und steckte sich verlegen die Hände zwischen die Knie, wie ein schuldbewusster groÃer Junge. Um Himmels willen. Wahrscheinlich erwartete er etwas. Verständlich nach den letzten gemeinsamen Tagen. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl, das stimmte, aber mehr war da nicht. Sie hatte auch gar nicht den Kopf frei für eine Affäre, solange dieser schreckliche Verdacht gegen Jörg im Raum stand. Wenn sie ehrlich war, benutzte sie Tom nur als Bollwerk gegen ihre Angst, sie wollte ihn aber auch nicht vor den Kopf stoÃen. »Ein andermal vielleicht«, versuchte sie ihn zu vertrösten. »Wann sehen wir uns wieder? Morgen?«
Er verzog das Gesicht. »Das ist schlecht. Ich bin ab morgen in Kathrins Institut mit Bereitschaft dran, und am Wochenende will ich sie in der Reha besuchen. Wie sieht es nächste Woche aus?«
»Da bin ich auf der Kunstmesse in London. Bill Armstrong stellt aus, und ich will unbedingt ein Werk von ihm ergattern. Er macht fantastische Fotografien, die wie gemalte, diffuse Traumbilder wirken. Eine tolle Ergänzung zum Schaukelbild von Corinna, das ja genau umgekehrte Reaktionen assoziiert. Ein Gemälde wie ein Foto und daneben ein Foto wie ein Gemälde. Das wird doch der Hit!«
Er lachte leise. »Jetzt bist du in deinem Element. Das gefällt mir. Wann kommst du zurück?«
»Wahrscheinlich am 23. Januar.«
»Das haben wir ja ganz toll hinbekommen, da springe ich für den Rest der Woche für einen Kollegen von Kathrin mit Nacht- und Unfallbereitschaft ein. Das hatte sie ihm schon vor Längerem zugesagt. Das heiÃt also â¦Â« Er überlegte und rechnete mit den Fingern. »Meine Güte, dann sehen wir uns frühestens am letzten Januarwochenende?«
NeununddreiÃig
Samstag, 28. Januar 2012
Es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Immer wieder jagten Windböen Regenschwaden über den
Weitere Kostenlose Bücher