Im Dunkel der Schuld
überblicken. Niemand. Langsam schloss sie die Tür, blieb aber mit dem Rücken daran gelehnt stehen. Falscher Alarm, beruhigte sie sich. Es waren nur die Nerven gewesen.
Mit wackligen Beinen stakste sie zum Nachtlicht und kontrollierte es. Na bitte. Die Glühbirne hatte sich gelockert.
Wie auf Kommando begann das Nachtlicht zu flackern, dann erlosch es, und fast zeitgleich ging die Deckenlampe wieder aus. Kurzschluss, eindeutig ausgelöst von diesem Nachtlicht. Niemand hatte schuld.
Ebba blieb einen Moment lang stehen und zwinkerte vor Erleichterung, aber auch, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Lichter der Stadt und der Schnee lieÃen die Wohnung nicht gänzlich schwarz sein. Schon konnte sie Umrisse erkennen. Sie tastete nach dem Schalter des Nachtlichts, knipste ihn aus, tastete sich zurück zum Sicherungskasten, der noch offen stand, drückte den bekannten Schalter und badete in Helligkeit.
Es war vorbei. Niemand hatte sie überfallen. Nur ihre Nerven hatten ihr einen Streich gespielt.
Aber als sie später im Bett lag, krochen auch die Zweifel wieder heran. Konnte sich eine Glühbirne von allein lockern? Hatte sie die Tür am Morgen wirklich nur einmal abgeschlossen?
So ähnlich war es wahrscheinlich Georg gegangen, schoss es ihr irgendwann durch den Kopf. Auch er hatte gegen jemanden gekämpft, der zwar Spuren gelegt, aber nicht sichtbar geworden war. Immer mehr kam sie zu der Ãberzeugung, dass zumindest sein Tod nie und nimmer eine natürliche Ursache gehabt hatte. Als Nächstes hatte dieser Jemand ihre Mutter manipuliert, dann Rosie. Und jetzt? War jetzt sie an der Reihe? Aber warum? Warum? Und wer?
Er kam pünktlich und hatte zwei Einkaufstüten dabei. Ebba war nicht nur wegen der Ereignisse des letzten Abends und ihrer schlaflosen Nacht nervös. Sie bereute es inzwischen, Tom zu sich nach Hause eingeladen zu haben. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie weiter auf Distanz hätten bleiben können.
Aus diesem Grund beschloss sie auch, ihm nichts von den Vorgängen des Vorabends zu erzählen, die bei Tag betrachtet einen groÃen Teil ihres Schreckens verloren hatten. Sie hatte seit zehn Uhr, noch vor Ãffnung der Galerie, ein neues Schloss in der Wohnungstür und darüber noch einen Extrariegel. Eine Alarmanlage war in Auftrag gegeben, und sie war nicht allein.
Aber vollständig hatte sie den Schrecken noch nicht verdaut, und er kehrte mit Toms erstem Satz zurück.
»Und? War gestern Abend alles in Ordnung?«, fragte er und blickte sich suchend um.
Ebba machte eine beschwichtigende Handbewegung und hoffte, damit auch das Entsetzen abzuschütteln, das sofort wieder präsent war. Die ganze Nacht hatte sie sich Geräusche eingebildet. Zum ersten Mal hatte sie unten die Ãberwachungskamera und hier oben den Türspion benutzt, als er vorhin geklingelt hatte. Und immer noch war ihr mulmig zumute. Um sich abzulenken, zeigte sie auf die Kochinsel.
»Was gibt es als Festtagsmenü?«
Er begann, seine Einkäufe auszupacken. »Wachteln, Austern und Graved Lachs. Und Erdbeeren. Sehen die nicht fantastisch aus? Eigentlich ein Wahnsinn, sie werden bestimmt keinen Geschmack haben. Aber ich fand, die mussten sein.«
»Grandios. Dann krempel ich die Ãrmel hoch.«
»Und ich sorge für Musik. Lass mal sehen. Oh, wir haben den gleichen Geschmack. Katie Melua. Die passt doch.«
Ebba wies mit dem Kinn zum Kühlschrank. »Ein Glas Sancerre als Kochwein, bitte.«
Es war fast so wie früher mit Jörg.
Sie versuchte, sich zu entspannen, aber es funktionierte nicht. Hatte Jörg nicht gesagt, er wolle bis Weihnachten eine Auszeit nehmen? Würde er heute eine Versöhnung oder wenigstens eine Aussprache herbeiführen wollen? Das sähe ihm eigentlich ähnlich, so gut kannte sie ihn. Aber bis jetzt hatte er sich nicht blicken lassen. Wo war er? Hatte er sie beobachtet und mitbekommen, dass Tom hier war?
Sie versuchte, den Gedanken an ihn zurückzudrängen und sich den Essensvorbereitungen zu widmen.
Es klingelte. Also doch. Ebba trocknete sich die Hände ab und straffte sich, als sie am Spiegel vorbeikam. Sie sah aufgelöst aus. Eine Spur Schuldbewusstsein war auch dabei. Hoffentlich wollte Jörg nicht reinkommen. Wie sollte sie ihm Thomasâ Anwesenheit erklären? Der hatte die Musik leiser gedreht und folgte ihr zur Tür, was ihr unangenehm war. Er schien es zu
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