Im Dunkel der Schuld
schlafen.«
Irgendwo klingelte ein Handy.
Ihres war es nicht. Das hatte sie in Baden-Baden gelassen, wohlweislich, damit Jörg sie nicht belästigte. Jetzt verfluchte sie sich dafür. Niemand würde wissen, wo sie war, selbst wenn man nach einem Thomas Flemming fahndete. Nicht einmal die Polizei konnte sie per Handyortung finden.
Das Handy klingelte weiter. Sein Kopf verschwand.
Er meldete sich, schwieg, dann sagte er: »In Ordnung. Bin gleich da«, und fluchte leise.
Er beugte sich wieder über sie und hielt ihr eine Art Schnabeltasse hin. »Wir müssen unser Gespräch verschieben. Trink, aber in kleinen Schlucken. Ganz langsam.«
Langsam? Gierig sog sie wie ein Säugling an der Vorrichtung, konnte gar nicht genug bekommen von dem Nass. Doch schon zog er es ihr wieder fort.
»Das muss reichen. Mund auf.«
Sie presste die Zähne aufeinander, als sie den Knebel auf sich zukommen sah.
Er lachte leise. »Das ändert nichts. Wenn du brav bist, bringe ich dir nachher wieder etwas zu trinken. Wenn du mich jetzt aufhältst, kriegst du nichts, klar?«
Sie wollte den Kopf schütteln. Sie würde nicht nachgeben. Wenn er zu lange mit ihr beschäftigt war, wurde der Anrufer von eben vielleicht misstrauisch und kam vorbei und rettete sie. Sie machte sich steif, presste die Lippen zusammen und knirschte mit dem Kiefer.
»Oh, Ebba!«, sagte er nur, dann hielt er ihr die Nase zu, bis sie den Mund von allein öffnete.
»So«, sagte er ruhig, als der Knebel saà und das Klebeband über ihrem Mund befestigt war. »Das hätten wir. Es wird spät werden. Ich habe übrigens schon schlimmere Dinge gesehen als eine Frau, die sich in die Hose pinkelt, glaub mir das. Die Maiskügelchen, auf denen du liegst, werden es aufsaugen.«
Dann verschwand sein Kopf, und der grauenhafte Deckel stülpte sich wieder über sie.
Vierundvierzig
Wie lange konnte man in seinem eigenen Sarg liegen, bevor man den Verstand verlor?
Ebba wusste nicht, was schlimmer war: die rasende Panik, die ihr in Wellen das bisschen Luft zum Atmen nahm und den Kopf schier zerdrückte, oder die Realität in ihrem engen Gefängnis mit dieser absoluten Dunkelheit und der dumpfen Stille, die sie durch Summen und Stöhnen abzumildern versuchte, was sich aber noch schrecklicher anhörte. Dann wieder griff die eisige Angst nach ihr, Thomas könne nicht zurückkommen. Niemand würde sie finden. Wahrscheinlich hatte er ihren Sarg irgendwo im groÃen Lager unter den vielen anderen versteckt. Dann würde sie elendig verhungern und verdursten. Manchmal redete sie sich ein, dass das nicht geschah, weil Thomas vorhatte, sie möglichst lange zu quälen. Andererseits brauchte er nur selbst einen Unfall zu haben, dann gab es keine Rettung mehr.
Die gab es eigentlich ohnehin nicht. Er würde sie nicht leben lassen. Er würde sie endlos lange quälen. Ãber ein Jahr, hatte er gesagt. Ein Jahr in diesem Sarg? Ihr Herz begann zu rasen, sie musste sich zwingen, sich zu beruhigen. Panik brachte sie nicht weiter, Panik würde ihre Ãngste nur anwachsen lassen und irgendwann den Verstand ausschalten. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat hier im Dunkeln lag, ohne Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Nein! Sie durfte sich nicht gestatten, sich das auszumalen. Sie musste bei Verstand bleiben, sonst würde er siegen. Sie musste versuchen, es positiv zu sehen. Sie hatte über ein Jahr Zeit, auf einen Fehler von ihm zu warten. Einen Fehler, den sie ausnutzen konnte und der ihr Leben retten würde. Thomas würde sie gnadenlos umbringen, am 26. März 2013. O Gott! Es war furchtbar, sein eigenes Todesdatum zu kennen. Es musste einen Ausweg geben. Es gab doch immer einen!
Hätte er nicht längst zurück sein müssen? Wie lange lag sie hier schon?
Sie zerrte an ihren Fesseln und gab Grunzlaute von sich. Vielleicht war es schon Sonntag. Vielleicht inspizierte Kathrin, die Schwester, das Lager und hörte sie. Es gab solche Zufälle!
Aber nein, da war nichts. Nur Stille und Schwärze.
Und das Brausen im Kopf, das Zittern, die Angst.
Wenn sie doch nur etwas zu trinken bekäme! Oder etwas zu essen! Ein Stück Brot würde schon reichen.
Sie musste sich zusammenreiÃen. Konzentrierte sie sich lieber auf etwas anderes. Farben, zum Beispiel. Die waren ihr von klein auf vertraut. Das gedeckte Lila
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