Im Dunkel der Schuld
benutzen« gesagt?
Verwirrt und eilig stürzte er im zweiten Stock in den Waschraum, um sich die Hände zu schrubben.
Einer der Rechtsanwälte, der ebenfalls in dieser Etage ein Büro hatte, stand an einem der Waschbecken und fixierte ihn mit geröteten Augen.
»Wissen Sie, welche Malerfirma das im Erdgeschoss ist? Wer hat die überhaupt beauftragt? Unerhört, so ohne Vorankündigung, finden Sie nicht? Wenn sich einer meiner Mandanten die Kleidung deswegen ruiniert, möchte ich wissen, wen ich dafür belangen kann.«
Anwälte! Als gäbe es keine gröÃeren Probleme auf der Welt. Georg fuhr sich mit einem Papiertuch über die Schuhe. Er fragte sich schon seit Betreten des Gebäudes, ob er sein Auto abgeschlossen hatte. Leider besaà er ein älteres Modell ohne elektronisches Schloss. Aber wenn er noch einmal zum Parkplatz ging und nachsah, würde es noch später.
Rumpelnd meldete sein Magen, dass er seit gestern Mittag nichts mehr gegessen hatte, und erinnerte ihn daran, dass Maria sonst jeden Morgen dafür sorgte, dass eine Lunchbox in seiner Aktentasche lag. Es war ein dummer Fehler gewesen, Maria wegzuschicken. Der ganze Verdacht gegen sie war bei Tag betrachtet doch lächerlich.
9.41 Uhr.
Bestimmt war sie schon in Frankreich unterwegs. Hoffentlich fuhr Ebba vorsichtig. Cabriofahrerinnen neigten dazu, die Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten. Ebba sowieso. Die setzte sich ständig über Vorschriften hinweg, das war schon früher so gewesen. Sie fand immer ein Schlupfloch. Sie hatte es bestimmt einfacher im Leben als er mit seinem Drang, immer alles richtig zu machen. Schon mit vier Jahren hatte sie einen solchen Mut und zugleich Entschlossenheit an den Tag gelegt, dass er sie nur bewundern konnte.
Es war ein Spätsommertag gewesen, und Papa hatte Rosie befohlen, auf den Apfelbaum zu steigen, um ihrem Bruder möglichst sorgsam reife Exemplare zuzuwerfen, die er in einen Korb zu legen hatte. Für jeden Apfel, der danebenfiel, sollte Ebba für zehn Minuten in die Truhe im Atelier. Bei jedem Fehlfang wäre er am liebsten in Tränen ausgebrochen, weil Ebba doch solche Angst vor dem Dunklen hatte. Er konnte sich anstrengen, wie er wollte â es gelang ihm einfach nicht, alle Ãpfel zu fangen, und auch Rosie begann nach einer Weile zu schluchzen, weil sie sich auf dem Baum fürchtete und nicht nach unten zu schauen wagte â was die Trefferquote weiter verschlechterte. Vater saà mit einem Weinglas in der Hand dabei und zählte ungerührt mit. Bei Nummer sechs brach er das Experiment ab.
»Ebba, mitkommen«, befahl er, und Georg wunderte sich, dass die kleine Schwester ihm verschwörerisch zublinzelte und ihre Händchen in den Rocktaschen vergrub. Kein Mucks war danach aus der Truhe zu hören, was wohl auch den Vater erstaunte, denn unvermittelt hob er irgendwann den Deckel hoch und erwischte Ebba mit einer Taschenlampe in der Hand.
Seufzend schob Georg den Schlüssel in seine Bürotür. Wenn er nur ein wenig von ihrer Persönlichkeit abbekommen hätte ⦠Er aber hatte nur gelernt, dass er sich im Leben anstrengen musste. Dass es nur dann zu ertragen war, wenn alles in geregelten Bahnen lief.
Die Tür klemmte.
9.54 Uhr.
Fast eine Stunde Verspätung. Drinnen klingelte das Telefon. Ihm wurde übel, weil er das Gespräch nicht entgegennehmen konnte. Auch der Anrufbeantworter sprang nicht an, es klingelte einfach weiter und weiter, während er immer nervöser versuchte, die Tür aufzustoÃen. Schweià rann ihm unangenehm den Rücken hinunter, wahrscheinlich roch er bereits nach Angst und Unwohlsein.
Noch ein StoÃ, dann war es geschafft.
Fassungslos blickte Georg auf das Chaos in seinem Büro. Einbrecher. Jetzt also auch hier.
Hinter ihm pfiff jemand. Der Rechtsanwalt vom Ende des Gangs.
»Wie sieht es denn hier aus? Sie haben das Fenster über Nacht sperrangelweit offen gelassen, und das, obwohl die Warnungen vor dem Gewitter doch nicht zu überhören gewesen waren.«
»Gewitter?«
»Sagen Sie bloÃ, Sie haben das nicht mitbekommen. Es hat zwar nicht viel geregnet, aber mächtig gestürmt, ganz zu schweigen von Blitz und Donner. Da habe selbst ich es fast mit der Angst zu tun bekommen. Haben Sie wirklich nichts gehört?«
Georg wurde es heiÃ. Er hatte zum ersten Mal seit vielen Jahren, eigentlich zum ersten Mal überhaupt, früher
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