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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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sein«, sagte sie leise.
    Rosie streckte ihr steifes Bein vor und massierte es routiniert. Man sah ihr an, dass sie wieder Schmerzen hatte, aber wie immer versuchte sie es zu verbergen. Ein verspanntes Lächeln huschte über ihr ungeschminktes Gesicht.
    Â»Georg war der beste Bruder, den man sich nur wünschen konnte. Er hat sich wirklich immer bemüht, der Arme …«
    Maria beugte sich vor. »Was ist eigentlich mit deinem Bein?«
    Â»Hat er dir das nicht erzählt?« Rosie hielt in der Bewegung inne und strich sich eine dünne Haarsträhne hinters Ohr.
    Maria schüttelte den Kopf. »Wenn ich nach früher oder nach eurer Kindheit fragte, sagte er immer, es war nichts.«
    Â»Genauso ist es.«
    Â»Aber ihn hat doch etwas gequält! Vielleicht eine Erinnerung?«
    Man konnte es nicht sehen, nur erahnen, wie Rosie und ihre Mutter erstarrten. Auch Ebba ertappte sich dabei, dass sie unbehaglich auf der Couch herumrutschte. Kein Wort würde über früher verloren werden, niemals. Die Vergangenheit war beerdigt, tiefer, als jedes Grab sein konnte. Niemand durfte daran kratzen, sonst würde sich der Deckel heben, und die Schuld würde sie alle verschlingen. Zum ersten Mal begriff Ebba in Ansätzen, warum ihre Mutter ihr Heil in Gebeten suchte, und sie beneidete sie, dass sie einen Ausweg gefunden hatte. Gott hatte alles gesehen, ihm musste man nichts beichten, nichts erklären, ihn konnte man um Erlösung anflehen und hoffen, dass er vergab. Aber ihr, Ebba, würde niemals vergeben werden. Sie musste büßen, jeden Tag, jede Stunde, mit jeder Erinnerung, die sich in ihre Gedanken schlich, sosehr sie sich auch bemühte, sie zu unterdrücken.
    Ebba schluckte trocken. Sie musste stark sein, sonst würden diese Vorwürfe ihre Seele vergiften. Dabei hatte sie es doch nicht für sich allein getan. Es hatte damals keinen Ausweg gegeben. Schluss mit den Selbstvorwürfen.
    Georg war tot. Und dies hier war vielleicht die letzte Gelegenheit, über die näheren Umstände zu sprechen.
    Â»Wir müssen nicht so weit zurückgehen, Maria«, antwortete sie ihrer Schwägerin, bevor Rosie oder ihre Mutter wieder ein belangloses Thema anschnitten. »Erzähl uns doch bitte, was in letzter Zeit geschehen ist. Hat sich Georg die Sachen wirklich nur eingebildet, oder hast du auch etwas beobachtet?«
    Maria hob sachte die Schultern. »I don’t know« , entfuhr es ihr auf Englisch, und sie schüttelte den Kopf. »Also, Ebba, das die Polizei hat mich schon so oft gefragt, und ich mich natürlich auch. Ich weiß es einfach nicht. Alles schwirrt in meinem Kopf. Manchmal habe ich gedacht: Meine Güte, ich war die Letzte, die aus dem Haus ging – habe ich wirklich das Licht brennen lassen? Man macht viele Dinge automatisch, ohne nachzudenken. Hast du dich noch nie gefragt, ob du das Bügeleisen ausgemacht hast? Georg fragte das ständig, ich habe kontrolliert ständig und irgendwann gar nicht mehr gewusst, ob und was ich getan habe. Wenn das so wäre weitergegangen, hätte ich noch an meinem Verstand gezweifelt. Wenn ich nur wüsste, warum er so geworden ist. Als little boy, sorry – als Kind –, war er damals auch schon so? Ist etwas geschehen, das ihn so unsicher gemacht hat? Warum musste er immer alles kontrollieren? Hat es etwas mit Rosie zu tun? Mit Rosies Bein vielleicht? Das hat er immer so komisch angeguckt.«
    Rosie nahm ihr Wasserglas und vertiefte sich in die aufsteigenden Kohlensäurebläschen, und Frieda faltete die Hände.
    Alarmiert gab sich Ebba einen Ruck. Maria hatte ein Anrecht darauf, zumindest einen kleinen Blick in die Vergangenheit ihres Mannes werfen zu können, um ihn wenigstens im Nachhinein besser zu verstehen. Sie musste ihr helfen, sie musste sie wenigstens an einem der bedeutenden Vorkommnisse teilhaben lassen, damit sie alles besser verstehen konnte. Selbst wenn es schwerfiel, die ungewohnten Sätze zu formulieren, und sich eigentlich alles in ihr sträubte, auch nur diese eine Geschichte aus dem heiligen Schweigegelübde zu entlassen.
    Der große Garten ist besonders im Frühsommer ein Traum. Die unüberschaubare, leicht abschüssige Wiese ist voller bunter Wildblumen, Bienen summen, Schmetterlinge schaukeln unentschlossen von Blüte zu Blüte, ein leichter warmer Wind biegt die langen Grashalme, es duftet nach Heu und Kamille. Längst ist der Sandkasten am

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