Im Dunkel der Schuld
auf der vergeblichen Suche nach makelloser Perfektion zusammengebrochen. Perfektion, wie er sie erstrebt hatte, gab es nicht. Er war von klein auf zum Scheitern verurteilt gewesen.
Der Ellbogen ihrer Mutter war unerbittlich.
»Was denn?«
Frieda machte eine Kopfbewegung. »Der Kranz mit den roten Rosen. Die Schleife.«
Ebba folgte dem Blick. »Für Georg â dein Thomas«, stand auf dem breiten Taftband.
Ebba hob die Schultern. »Kenn ich nicht«, flüsterte sie und sah sich um. Nein, da war niemand. Kein Schulkamerad, kein Kollege, kein Studienkommilitone, kein Nachbar, kein Freund, kein Thomas. Niemand. Georg wurde so einsam beerdigt, wie er gelebt hatte.
Als der Sarg an der pompösen Pyramide aus rotem Marmor, auf der bislang nur Brunos Name stand, in die Grube gelassen wurde, verschwamm Ebba für einen Augenblick alles vor den Augen. Noch steckte ein frisches Holzkreuz mit Georgs Namen in der Erde, bald würde sein Name unter dem seines Vaters auf dem Stein angebracht werden. Sie zwinkerte, sah in den blauen Himmel, in Rosies versteinertes Gesicht, dann den schmalen Weg zur Kapelle zurück, um sich abzulenken.
Da war dieser Kerl wieder, der ihr schon letzte Woche aufgefallen war, als sie mit dem Bestatter zum Grab marschiert war. Sie selbst hatte gar nicht mehr gewusst, wo es sich befand. Niemand hatte sich je darum gekümmert. Ihre Mutter »konnte« aus Freiburg nie fort, für Rosie war es allemal zu weit, Georg passte der Weg hierher nicht in seine komplizierten Zeitpläne â und sie selbst? Ihr hätte sich der Magen umgedreht, wenn sie nur den Namen Bruno Seidel auf dem Stein hätte lesen müssen.
Und jetzt sollte Georgs Name danebenstehen.
Unvorstellbar.
Der Kerl in dem grünen Overall dort drüben war ihr unangenehm aufgefallen, weil er an jenem frühen Morgen mit einer halb vollen Schnapsflasche herumgefuchtelt hatte. Ebba war beim Anblick der schlanken, klaren Glasflasche so übel geworden, dass sie davongestürzt war und die weiteren Regularien des Begräbnisses erst später im Büro des Beerdigungsunternehmens hatte besprechen können.
Wenigstens hielt sich dieser Fremde abseits, und eine Schnapsflasche schien er diesmal nicht bei sich zu haben. Vielleicht hatte er sie schon ausgetrunken. Wieder tauchten vertraute, verhasste Bilder vor ihrem geistigen Auge auf, und sie packte ihre Mutter und Maria fest an den Armen und biss die Zähne zusammen, um die Erinnerungen abzuschütteln.
Mit einem leisen Schmerzlaut löste sich ihre Mutter aus dem Griff und rieb sich durch den dünnen Mantel den Arm. Dann machte sie eine ausladende Handbewegung. »Die Aussicht ist doch wirklich schön, oder? Hier werden es die beiden gut haben.«
Nichts gab es mehr zu sagen, und so wandten sie sich stumm ab und gingen langsam zum Parkplatz. Maria stieg in Ebbas Zweisitzer, Rosie und ihre Mutter hatten sich ein Taxi bestellt. Da es Ebba schon bei dem Wort Leichenschmaus schlecht wurde, hatten sie verabredet, sich in ihrem Apartment auf ein paar belegte Brote zu treffen. Frieda wollte möglichst bald nach Freiburg gebracht werden, um pünktlich zum Abendgebet des Betkreises zurück zu sein, und Rosie wollte unbedingt am nächsten Morgen den ersten Zug nach Schleswig nehmen, denn sie wollte die Buchhandlung gerade in den Osterferien auf keinen Fall länger als drei Tage am Stück geschlossen halten.
Kein Wort über Georg. Kein Wort, wie sehr sein Tod sie alle schmerzte. Kein Wort, wie sehr sie seinen Unfall bedauerten und mit seiner Witwe mitfühlten. Kein Wort, wie erbärmlich sein Leben gewesen war. Und auch kein Wort über die merkwürdigen Vorkommnisse vor seinem Tod, die Ebba nicht aus dem Kopf gehen wollten.
Nur Konversation über die Worte des Pfarrers, die für Ebba unerträglich gewesen waren. Der Geistliche hatte Georg doch gar nicht gekannt. Wie konnte er dann von einem viel zu kurzen, glücklichen Leben reden? Von Schicksal, das man erdulden müsse?
Und wie schafften es Rosie und ihre Mutter, über Aussichts lagen, Verkehrsprobleme und die Schönheiten der Philippinen zu sprechen? Irgendwann konnte Ebba das selbstbezogene Getue nicht mehr hören. Ihr tat Maria leid, die wortlos und blass immer tiefer in der Couch versank.
Sie setzte sich neben ihre Schwägerin und legte den Arm um ihre Schulter.
»Er war ein guter Mensch. Sein Leben lang hat er sich bemüht, perfekt zu
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