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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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ihr ihn kennt. Natürlich war er älter als ich, sehr viel älter, fast so alt wie mein Vater. Damals schon Mitte vierzig. Er sah gut aus, immer noch blond, sportlich, groß. Er hatte die Welt gesehen und erzählte mir von Paris, Madrid, Mailand, München, Hamburg, Bremerhaven. Manches stimmte, vieles war erfunden, aber das erfuhr ich erst später. Er hat uns alle getäuscht, denn er war gar nicht der weltgewandte Mann, als den er sich selbst gern sah.«
    Frieda schluckte trocken und wurde still. Sollte sie wirklich alles erzählen? Den Kindern den letzten Respekt vor ihrem Vater nehmen?
    Natürlich war es Elisabetha, die nicht lockerließ.
    Â»Wer war er dann?«, fragte sie drängend. »Sag es uns, Mama, wenigstens heute.« Und Frieda wurde klar, dass es diesmal kein Ausweichen geben konnte. Heute, an jenem Tag, an dem sie ihren Sohn zur letzten Ruhe hatte begleiten müssen, heute war es an der Zeit zu reden. Auch wenn es schwerfiel, und Frieda sich unwillkürlich an die Brust griff und das schwere Kreuz in ihre Hand gleiten ließ. Viel Kraft gab es ihr leider nicht. Ob sie um eine Pause bitten und sich zum Abendgebet zurückziehen sollte? Ihre Kinder waren leider nicht so gläubig, wie sie es gern gesehen hätte, nur Maria bekreuzigte sich oft und betete voller Inbrunst mit, wenn es sich anbot.
    Â»Mama, bitte!«
    Nein, sie würde nichts über die Kriegsjahre berichten, in denen Bruno mit gerade mal siebzehn zur Wehrmacht kam und als hübscher junger Mann sofort in den Innendienst der Luftwaffe abkommandiert wurde. Auch würde sie nicht erzählen, dass er später in Gefangenschaft geriet und Ende der 1940er-Jahre trunksüchtig und depressiv zurück in die fremd gewordene Heimat kam, wo es ihm schwerfiel, Fuß zu fassen. Immer und immer wieder hatte sie sich seine Geschichten anhören müssen, wenn er sein Selbstmitleid ertränkte und redselig wurde. Ein Wunder, dass er damals den Führerschein behielt. Und ein zweites Wunder, dass er zur Stelle war, als Clemens Hansen einen Chauffeur suchte.
    Â»Er war schon immer ein begnadeter Maler gewesen, aber davon konnte er natürlich nicht leben«, sagte sie stattdessen und hoffte, niemand würde tiefer in die Vergangenheit dringen wollen. »Er hatte sich nach dem Krieg mit Gelegenheitsjobs wie zum Beispiel als Strumpfverkäufer über Wasser gehalten, dann aber auch eine Zeit lang als freiberuflicher Grafiker gearbeitet. Ich weiß nicht, ob ihr euch noch an Fotos und Plakate von früher erinnern könnt, auf denen dieses geschwungene ›m‹ in lateinischer Schrift für Milchwerbung zu sehen war. Das hat euer Vater entworfen. Leider ohne Vertrag, und so sah er überall, wenn er über Land fuhr, seinen Schriftzug, hatte aber nur ein paar D-Mark dafür als Lohn bekommen. Das ärgerte ihn lange Zeit – zu Recht.«
    Â»Hat er nie versucht, Tantiemen einzuklagen?«
    Wieder war es Elisabetha, die alles genau wissen wollte. Woher das Mädchen das nur hatte?
    Frieda schüttelte den Kopf. »Dass das möglich gewesen wäre, ist ihm erst viel, viel später aufgegangen, als er schon erfolgreicher Maler war. Da brauchte er das nicht mehr.«
    Â»Stimmt«, unterbrach ihre Jüngste sie wieder. »Geld war ja das Einzige, was wir immer genug hatten. Er wurde Chauffeur und heiratete die Tochter des Chefs. Wie praktisch.«
    Â»Ganz so einfach war es nicht. Ich war ja noch minderjährig, und mein Vater wollte partout seine Fabrik in kundige Hände geben. Der passende Bräutigam war schließlich schon ausgesucht. Eine Woche nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag sollte die Hochzeit stattfinden.«
    Frieda schloss die Augen, weil der Ekel wieder in ihr hochstieg. Kurt hatte der feiste Kerl geheißen, er hatte Finger wie Bockwürste und fast weiße, dicke Lippen gehabt, die wie ungebrühte Bratwürste kalt auf ihrem Hals und ihrem Ausschnitt lagen und sich an ihrer Haut festsogen. Mehrmals war ihr in seinem nach Tierblut, Majoran und verwesenden Fleischresten riechenden Mercedes schlecht geworden, und immer hatte sie ihre Beine verkrampft zusammengepresst, wenn sich seine breiten Hände grob einen Weg unter ihren Rock zu bahnen versuchten.
    Und dann war da Bruno gewesen, der über der Garage in einer kleinen Wohnung hauste und im Sommer Tisch und Stühle auf ein seitliches Rasenstück trug, Rotwein trank, die neuesten Schlager im

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