Im Dunkel der Schuld
ihm gut gefallen. Das Casino, die Thermalquellen, das gute Essen â¦Â«
»Und das Trinken!«
»Ebba, bitte, reià dich zusammen. Mami will ihre Geschichte erzählen, und du unterbrichst sie ständig und machst alles nieder. Manchmal bist du genau wie Papa.«
»Das nimmst du zurück!«
»Kinder, bitte. Ich bin ja gleich fertig. Vielleicht war es der Ortswechsel, der mir so zu schaffen machte, dass ich den Boden unter den FüÃen verlor, ich weià es nicht. Ich kannte niemanden hier, ich war einsam, saà mit Georg in dem Riesenhaus weitab von der Stadt, hatte keinen Führerschein, war auf euren Vater angewiesen, der sich tagelang in sein Atelier verkroch, um zu malen. Irgendwann lief ich mit Georg im Kinderwagen in die Stadt, ging in eine Kirche und traf auf Pfarrer Müller â könnt ihr euch noch an ihn erinnern? Georg empfing von ihm später die erste heilige Kommunion. Nein, ich sehe schon, da wart ihr noch zu klein. Nun, jedenfalls sorgte die Gemeinde rührend für mich, sie richteten einen Fahrdienst zu den Gottesdiensten und sonstigen Zusammenkünften ein, sie nahmen mich wie ein Familienmitglied auf, während zu Hause ⦠Nun, das wisst ihr selbst am besten.«
»Ja, da tobte der Bär. Papa schwankte hin und her zwischen ungestörter Einsamkeit im Atelier, wo ihn schon das Sirren einer Mücke ausrasten lieÃ, und den ausschweifenden Feiern mit seinen sogenannten Freunden. Saufkumpane trifft es wohl eher.«
Diesmal widersprach Frieda nicht.
Und wieder war es die kalte Verachtung in seinen Augen, an die sie sich mit aller Deutlichkeit erinnerte. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr hatte sie gehofft, in diesen Augen noch einmal jenes glitzernde Begehren der ersten Nacht zu sehen, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich wahrgenommen worden war. Seit jener Nacht war sie süchtig gewesen nach diesem Ausdruck.
Sie hatte alles erduldet und entschuldigt, in der Hoffnung, seinen Respekt noch einmal zurückzuerlangen, sie hatte ihn gewähren lassen, hatte versucht, ihm alles recht zu machen, aber sie hatte es nicht vermocht. »Ich kann nicht, ich kann nicht« war sodann ihr Leitspruch geworden, der sich immer tiefer in ihre Seele eingefressen hatte, bis er zu einem Teil ihres Selbst geworden war.
Erst nach seinem Tod, in Freiburg, hatte sich das geändert. Im Betkreis zum Heiligen Grab war sie als vollwertiger, wichtiger Mensch aufgenommen worden, hier gehörte sie hin, hatte ihren Platz gefunden.
Und deshalb drängte sie Elisabetha nun zum Aufbruch, obwohl sie die Enttäuschung der drei jungen Frauen sehr gut nachvollziehen konnte. Viel hatte sie nicht preisgegeben, viel weniger, als ihre Kinder und vor allem Maria sich erhofft hatten. Aber was nutzte es, alte Geschichten auszugraben? Es wühlte nur die Schuld auf, die niemand abtragen konnte und für die sie einmal bitter würden büÃen müssen.
Ganz besonders herzlich verabschiedete sie sich an diesem Abend von ihrer Schwiegertochter, die zum nächsten Weihnachtsfest schon nicht mehr in Deutschland sein würde. Georgs Vermögen aus dem Erbteil seines Vaters würde die Hausschulden decken und ihr in Manila über die Runden helfen.
»Du machst alles richtig«, bestärkte sie Maria, die sich wie ein Kind an sie klammerte und heftig weinte. »In Heidelberg wärst du allein, und das ist nicht gut. Vor allem nicht, wenn in der Heimat eine Familie wartet, zu der man gehört. In einer intakten Familie hat man am ehesten die Chance, dass die Trauer vergeht und man irgendwann wieder glücklich wird.«
Und während sie das aussprach, konnte sie es kaum erwarten, in den Schoà ihrer eigenen neuen Familie heimzukehren, um für Trost und Frieden zu beten.
Zehn
Freitag, 25. Dezember 2008
»Wie warâs?« Schlaftrunken rappelte sich Jörg von der Couch hoch, als Ebba kurz vor Mitternacht heimkam. Auf dem Beistelltisch stand sein halb volles Rotweinglas, daneben lagen der aktuelle Thriller von Val McDermith, in dessen letztem Drittel ein Lesezeichen steckte, sein Handy, sein Laptop, einige StraÃenkarten und Reiseführer über die Schweiz, eine aufgerissene Packung Erdnüsse. Vor der Couch standen seine Hausschuhe. Ebbas Laune sank auf den Nullpunkt. Ãberall in ihrer Wohnung waren seine Hinterlassenschaften verteilt, und das störte sie, denn damit drang er zu tief in ihre Privatsphäre ein.
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