Im Dunkel der Schuld
Erstversorgung im Krankenhaus nicht hatte weiterbehandeln lassen. Entsprechend übervorsichtig war sie nun. Die Steillage des Friedhofs setzte ihr zusätzlich zu.
Ãberhaupt war das hügelige Baden-Baden Gift für sie. Wie schön war es da in Schleswig, flach, überschaubar, ungefährlich. Wäre sie doch schon wieder zu Hause! Sie sehnte sich nach Wilma, ihrer Katze, und auch nach ihrem Laden, den sie noch nie so lange allein gelassen hatte. Ob ihre Mitarbeiterin Inken Sörensen wohl alles schaffte? Sie war tüchtig, keine Frage, aber sie hatte noch nie allein im »Eulennest« gestanden. Hoffentlich wurde es ihr nicht zu viel, und hoffentlich ging alles gut.
Rosie sah zur Uhr. Ob sie heute noch fahren sollte? Den Abendzug konnte sie gut erreichen. Andererseits â vielleicht fühlte sich Ebba zurückgestoÃen, wenn sie den Besuch abbrach. Obwohl eher anzunehmen war, dass sie Ebba mit einer verfrühten Abreise eine Freude machen würde. Bestimmt ging sie ihrer Schwester mächtig auf die Nerven, so oft, wie sie wegen ihr schon die Augen verdreht hatte. Ebba war nun mal der geborene Einzelgänger, da störten Ãbernachtungsgäste nur.
Wie zur Strafe begann ihr Bein zu schmerzen. Ebba, Ebba!, flehte sie stumm, und als habe ihre Schwester sie gehört, kam sie endlich zurück, mit grimmigem Gesicht, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
»Was wollte der?«
Ohne eine Antwort zu geben, hakte Ebba sie unter und führte sie rücksichtsvoll in Richtung Ausgang, ohne noch einmal zum Grab zurückzublicken.
»Nichts Wichtiges«, grummelte sie gereizt, sodass Rosie wusste, das Gegenteil war der Fall, doch Ebba wollte sie vor etwas Unangenehmem verschonen. Dankbar drückte Rosie ihr den Arm und fragte nicht weiter.
Sie musste sich zusammennehmen, um nicht zu stöhnen, als sie ihren Oberkörper in Ebbas kleinem Flitzer zusammenkrümmte und versuchte, ihr steifes Bein möglich komplikationslos in den FuÃraum zu ziehen. Es tat höllisch weh, aber sie wollte nicht zeigen, dass sie Schmerzen hatte, denn Ebba konnte ja nichts dafür. Sie hatte das Auto für sich gekauft, nicht für ihre behinderte Schwester, und es passte zu ihr, so unpraktisch es auch war. Besser keine Umstände machen und die Zähne zusammenbeiÃen. Es war ja nur ein Katzensprung.
»Alles okay?«, fragte Ebba mit kurzem Seitenblick.
Rosie lächelte den Schmerz fort und sah aus dem Fenster. Der Merkurberg war hinter den Schneewolken verschwunden, alles war grau und unwirtlich. Die StraÃe glitzerte, als sei sie spiegelglatt.
Schon tauchten die Worte »Glatteisunfall â keine Chance â Beileid« in ihrem Kopf auf. Um Gottes willen, gleich würde sich das Karussell der Selbstvorwürfe wieder drehen. Ebba würde nicht den Hauch von Verständnis dafür haben. Rosie konzentrierte sich auf den Schmerz, der direkt im Knie saÃ. Sie war letztes Jahr deswegen im Krankenhaus gewesen, man hatte ihr dringend zu einer aufwendigen Operation samt Reha geraten. Sie würde monatelang auÃer Gefecht gesetzt sein â absolut unmöglich als Selbstständige. Ebba sagte sie lieber nichts davon. Sie würde ihr womöglich Geld leihen wollen. Ja, so war sie: immer einen Ausweg zur Hand. Es war oft anstrengend, mit ihr zu diskutieren, weil man nicht wusste, wie man es ihr recht machen konnte. Andererseits war Ebba in ihren klaren Entscheidungen sicherlich besser dran als sie, die sich über alles und jedes den Kopf zerbrach.
Merkwürdig eigentlich, dass sich ihre sonst so kopfgesteuerte Schwester solch ein unvernünftiges Spielzeug gekauft hatte. Dieser Wagen taugte nicht einmal zum Transport von Bildern, für den sie ein groÃes Fahrzeug mieten musste. Wie wollte sie nur nächste Woche die Sachen aus Mamas Wohnung nach Baden-Baden bringen, die sie beide gestern kurz durchgesehen hatten, wobei sie sich wie Eindringlinge vorkamen? Viel war es nicht, was sie behalten wollten, aber allein für die Akten, die Ebba zur gründlichen Durchsicht mitnehmen wollte, und für die paar Gegenstände wie Tisch tücher, Besteck und Gläser, die sie für Rosie verwahren sollte, benötigte sie bestimmt mehrere Umzugskisten.
GröÃere Urlaubsreisen zu zweit mit Gepäck konnte man in dieser Puderdose ebenfalls nicht unternehmen. Nun, das war für Ebba wahrscheinlich das geringste Problem. Sie hatte zwar einen Mann
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