Im Dunkel der Schuld
entsenden.«
»Sie machte seltsame Andeutungen am Telefon. Sie hatte schreckliche Angst.«
»Wann haben Sie telefoniert?«
»Eben. Vor einer Minute. Oder vielleicht vor zehn.« Ebba schnürte es wieder den Brustkorb zusammen. Das Atmen fiel ihr erneut schwer, und sie holte stockend Luft.
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja, wieso denn? Es geht nicht um mich, sondern um Rosie.«
»Was genau hat sie gesagt?«
»Dass sie Angst hat. Und schlecht träumt.« Ebba merkte selbst, wie irre das klang. Kein Polizist der Welt würde daraus folgern, dass ihre Schwester in Gefahr war. »Hoffentlich geschieht ihr nichts.«
»Gibt es Anhaltspunkte für eine Straftat oder Selbstgefährdung?«
»Nein. Aber wir wurden unterbrochen. Und danach ist sie nicht mehr ans Telefon gegangen.«
»Tut sie das öfter? Nicht ans Telefon gehen?«
»Nein ⦠Ja. Schon. Aber darum geht es nicht. Es ist keine Laune von ihr. Sie hat sich schrecklich angehört. Ich spüre, dass sie in Gefahr ist. Vielleicht steckt dieser Mann dahinter. Vielleicht bedroht er sie.«
»Welcher Mann? Name, Adresse?«
»Keine Ahnung. Sie bestreitet, dass es ihn überhaupt gibt. O mein Gott, ich weià selbst, wie sich das für Sie anhören muss. Aber glauben Sie mir bitte, da passiert etwas Schreckliches. Bitte, Sie müssen jemanden hinschicken.«
»Von wo hat Ihre Schwester angerufen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie die Nummer erkennen können? War es der Anschluss ihrer Wohnung oder ein Handy?«
»Keine Ahnung. Darauf habe ich nicht geachtet.«
»Wie hat sie sich konkret geäuÃert?«
»Dass sie träumt, auf Segelmasten, Brücken und Kränen zu stehen. Und dass sie sich fürchtet. Sie leidet an Höhenangst, wissen Sie?«
»Von einem Mann hat sie also nichts gesagt?«
»Nein, aber â¦Â«
»Hat sie geäuÃert, dass sie sich hinunterstürzen wird?«
»Auch nicht.«
»Hat sie jemals Suizidgedanken geäuÃert? Wenn ja, wann?«
»Nein.« Ebba biss sich auf die Lippen. Immer noch klopfte ihr das Herz im Hals. Sie bildete sich das doch nicht ein! Wer Rosie kannte, der wusste, dass etwas ganz Schlimmes im Gange war. Wie konnte sie das dem Beamten nur klarmachen?
Dessen Stimme klang inzwischen fast gelangweilt. »War Ihre Schwester alkoholisiert, oder ist Ihnen bekannt, dass sie Medikamente oder Drogen einnimmt?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, dass sich das objektiv nicht nach einer akuten Gefährdungslage anhört. Hören Sie, vielleicht geht sie in ein paar Stunden wieder ans Telefon. Vielleicht hat sie dann einen Kater und entschuldigt sich für den wirren Anruf.«
»Das war kein wirrer Anruf. Sie kennen Rosie nicht. Die macht keine Scherze. Und Alkohol trinkt sie im Leben nicht. Sie hat noch nie einen Tropfen angerührt.«
»Wie alt ist Ihre Schwester?«
»VierunddreiÃig.«
»Vielleicht macht sie heute eine Ausnahme.«
»Ich dachte, die Polizei nimmt Notrufe ernst.«
»Frau Seidel, ich habe nichts Konkretes für einen Polizeieinsatz in der Hand. Gibt es denn keine Nachbarn oder Freunde, die Sie anrufen und nachsehen lassen könnten?«
»Das ist es ja. Sie lebt völlig allein. Ich ⦠Ich muss ihr doch irgendwie helfen!«
»Versuchen Sie es morgen noch einmal. Meistens klärt sich so etwas am nächsten Tag auf. Ich gebe Ihnen die Nummer der Kollegen in Schleswig. Vielleicht können die Ihnen weiterhelfen. Jetzt beruhigen Sie sich bitte, und versuchen Sie ein bisschen zu schlafen. Es ist schon spät.«
Verärgert und ratlos legte Ebba auf. Die Polizei, dein Freund und Helfer! Andererseits hatte der Mann sie auf eine Idee gebracht. Sie bediente ein paar Tasten zurück zur Anruferliste. Richtig, hier: eine unterdrückte Nummer. Also war es durchaus möglich, dass sie von unterwegs telefoniert hatte. Wo auch immer das gewesen war. Ebba würde sich jedenfalls lächerlich machen, wenn sie ihrem nächsten Impuls nachgeben und nun die Polizei in Schleswig rebellisch machen wollte. Sie konnte noch nicht einmal angeben, wo genau man ihre Schwester suchen sollte, und beim vorletzten Telefonat hatte Rosie eigentlich normal geklungen, von ihrer Pampigkeit einmal abgesehen.
Wo also steckte sie? Und bei wem?
Verdammt, es war ihre Schwester! Warum wusste sie so wenig von ihr?
Der erste Januar war ein
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