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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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begrenzte. Einmal hatte sie es geschafft, dabei die Augen zu öffnen und hinunterzusehen in das bleigraue Wasser, auf die leeren Bootsstege und die winzig wirkenden Möwen, die auf dem Wasser schaukelten oder sich neben ihr kreischend hinabstürzten in die sanften Kräuselwellen.
    Heute ging das nicht. Heute stand sie wie festgenagelt, den Rücken an die Wohnungstür gepresst, mit Übelkeit kämpfend, weil sich ihr Magen gegen alles hier wehrte. Sie mochte die leeren weißen Wände, den weißen Fliesenboden, das Hallen in dem unmöblierten Raum nicht. Nichts gab es, woran sie sich festhalten konnte, nur die Türklinke in ihrem Rücken. Wenn er nur endlich käme!
    Sie hatte die Buchhandlung bis Mittwoch geschlossen, obwohl in Schleswig niemand seinen Laden wegen der Faschingstage in südlicheren Bundesländern zumachte. Er hatte es so gewollt. Sie waren übers Wochenende in einem kleinen Hotel nahe Flensburg abgestiegen, das er gebucht hatte, und sie hatten zwei traumhafte Nächte miteinander verbracht, wieder einmal erregt von der Heimlichkeit, in der sie sich regelmäßig trafen. Niemand wusste, dass es ihn in ihrem Leben gab, auch Ebba hatte lediglich einen vagen Verdacht. Rosie war stolz darauf, dass sie nichts verraten hatte. Es war, als lebte sie in einer geheimen Welt, manchmal war das beglückend, manchmal aber auch explosiv. Wie heute: Sie war sich nicht sicher, ob er kommen würde. Sie war ihm ausgeliefert mit Haut und Haaren, und sie genoss es, weil er zärtlich zu ihr war. Er wusste, dass sie geliebt werden wollte und dass sie dafür alles tun würde. Es war anders als bei ihren früheren Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht.
    Es war nicht viel, was er dafür forderte, nur absolutes Stillschweigen über seine Existenz. Wenn er jemals erführe, dass jemand von ihm wusste, würde er fortbleiben, hatte er ihr angedroht, und sie glaubte es ihm. Es war wichtig, dass er unsichtbar blieb, denn seine Existenz stand auf dem Spiel. Erst die Scheidung, dann die Offenbarung, so hatte er den Ablauf festgelegt. Und bis dahin hatte sie keine Telefonnummer von ihm, keine Adresse, nichts. Sie durfte keine Souvenirs von ihren gemeinsamen Wochenenden einstecken, ihn nicht fotografieren, ihn noch nicht einmal in ihrem Haus in Arnis empfangen. Er rief nicht an, schrieb ihr nie, er nannte ihr nur beim Abschied den neuen Treffpunkt, das neue Datum.
    Bislang war er zuverlässig dort gewesen, manchmal erschien er kurz nach ihr, wenn sie schon im Bett lag, die Arme frierend um ihren nackten Körper geschlungen. Er mochte es kalt, nur keine Heizung. Er umfing sie, gab ihr die Pillen und das wärmende Getränk aus der Thermoskanne, sprach mit ihr über ihre Ängste, ihre Vergangenheit, ihre Familie. Alles wollte er von ihr wissen, besonders ihr Gefühl des Alleingelassenseins früher sollte sie beschreiben, wenn Papa wieder schreckliche Sachen befahl.
    Â»Er hat uns nie angerührt«, hatte sie Bruno einmal verteidigt, aber er hatte nur kurz gelacht.
    Â»Man kann Kinder auch seelisch zu Krüppeln machen, meine Liebe. Da sieht niemand etwas; die Narben sind innen, und sie heilen nie. Aber ich werde sie behandeln, vertrau mir. In ein paar Monaten wirst du keine Angst mehr haben und dich frei wie ein Vogel fühlen. Dann beginnt ein neuer Lebensabschnitt für dich. Glaub mir, vertrau mir. Und jetzt nimm die Tabletten, die helfen dir dabei, dich in meine Therapie zu fügen. Alles wird gut, nicht wahr? Wie heißt es?«
    Â»A-alles in O-ordnung.«
    Â»Jaaa. Guuut.«
    Nur so hatte sie es überhaupt geschafft, diese Wohnung zu kaufen, im Wikingturm, dem hässlichen Wahrzeichen und höchsten Punkt der Stadt. Sie war dem Makler nicht bis zum Fenster gefolgt, war an der Wohnungstür stehen geblieben, hatte nach Luft gerungen und die Augen geschlossen.
    Â»Ich nehme sie.«
    Â»Sie haben doch noch gar nichts gesehen. Kommen Sie auf den Balkon. Es ist unglaublich, wie weit der Blick reicht.«
    Sie war an der Tür geblieben, hatte nur genickt und einen Termin für den Notar vereinbart. Sie hatte nicht gefeilscht, keine Türen der Einbaumöbel geöffnet, nicht einmal Schubladen in der Küche aufgezogen oder den Kühlschrank kontrolliert. Sie hatte einfach nur mit klappernden Zähnen genickt und war mit allem einverstanden gewesen, genauso, wie er es sich gewünscht hatte.
    Sie war glücklich, ihm einen Gefallen tun zu

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