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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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Angst. Ebba, Ebba …«
    Dann war die Leitung tot.
    Sanft bog er Rosie die Finger auf und nahm ihr den Hörer aus der Hand.
    Â»Das war sehr unklug von dir. Wenn du das noch einmal machst, werde ich dich verlassen. Hast du mich verstanden?«
    Rosie nickte.
    Â»Wirst du mir gehorchen?«
    Sie nickte wieder.
    Â»Oder willst du, dass ich gehe? Willst du dein Leben lang Angst haben? Sollen wir aufhören?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Was war nur mit ihr? Warum hatte sie so schwere Arme? Warum wackelte ihr Kopf so? Warum kamen die Wände des Zimmers immer näher und wichen ihr dann wieder aus, wenn sie sich anlehnen wollte? Warum waren seine Augen auf einmal so kalt? Wo war sein Lächeln geblieben? Warum hatte er seine Arme von ihr genommen? War sie nicht nett gewesen?
    Und was war mit dem Telefon gewesen? Wen hatte sie angerufen? Sie konnte sich nicht erinnern. Wo war sie denn nur? Sie kannte das Zimmer nicht. Dieses Bett war ihr fremd. Es war kalt und klamm, aber er – er war warm. Er war da, immer noch, Gott sei Dank.
    Zittrig streckte sie die Hand aus, als er ihr ein Glas Wasser und eine der Pillen hinhielt. Er packte ihr Kinn, gröber als sonst. Ob er gemerkt hatte, dass ihr vorhin eine hinuntergefallen war und sie sie nicht mehr gefunden hatte? Sah er sie deshalb so streng an? Aber sie hatte es nicht mit Absicht gemacht. Sie wollte doch lieb sein. Wenn sie gehorchte, würde er ihr helfen, das hatte er ihr versprochen. Und noch mehr als das: Wenn alles überstanden war, würde er ihre Aufzeichnungen über ihre Erfahrungen während der Übungen veröffentlichen, zusammen mit seinen Anweisungen. Ein Ratgeber gegen die Höhenangst, mit dem sie anderen Leidensgenossen würde helfen können, die Furcht zu überwinden. Das war es wert.
    Deshalb würde sie tun, was er wollte. Wenn er bei ihr war, hatte sie auch keine Angst wie vorhin. Dann war alles gut.
    Sie sah in sein liebes Gesicht, berührte scheu seine schwarzen Haare. Hatte er ihr verziehen? Sie wollte ihn nicht enttäuschen, denn er liebte sie. Das sagte er ihr immer wieder, vor allem, wenn sie seine Anweisungen befolgte. Es war ein gutes Gefühl, geliebt zu werden. Ihr ganzes Leben lang hatte sie es sich gewünscht. Dafür würde sie alles tun. Alles.
    Â»Rosie!«
    Ebba schrie in den nutzlosen Hörer, so laut sie nur konnte. Ihr Kopf begann zu brummen, die Beine knickten wie Gummi ein, ihr Herzschlag hämmerte in ihrem Hals. Dann kam die Angst. Sie schnürte ihr die Luft ab. Es war ihr unmöglich zu atmen. Ebba keuchte und keuchte, aber alles in ihr hatte sich zusammengezogen, ließ kein Molekül mehr herein oder hinaus. Alles steckte fest in ihr.
    Sie riss die Glastür auf, kniete sich hin, legte ihre Stirn in den Schnee auf dem Balkon, schlug sich mit der Faust auf die Brust. Ihr wurde schwarz vor Augen. Todesangst schoss in ihr hoch. Bislang hatte sie mit ihren Panikattacken einigermaßen umgehen können, vor allem, wenn Fremde in der Nähe waren, denen sie sie verheimlichen wollte. Jetzt aber schlugen ihre Gefühle über ihr zusammen, und zum ersten Mal seit Langem fühlte sie sich ihnen ausgeliefert.
    Sie griff sich an den Hals, bekam weiterhin keine Luft, konnte also auch ihre Panik nicht wie sonst wegatmen. Endlich lösten sich ihre Verkrampfungen, dann sog sie frische, klare Luft in das gefühlte Vakuum ihrer Lunge, erleichtert und gierig zugleich.
    Im selben Augenblick kehrte der Zorn über ihre Hilflosigkeit zurück. Das durfte ihr nicht noch einmal passieren. Es war indiskutabel, sich so gehen zu lassen. Tief ein- und ausatmend kehrte sie in die Wohnung zurück und stellte sich unter die Dusche, erst heiß, dann kalt. Eiskalt.
    Danach wickelte sie sich hastig in ein Badetuch und wählte Rosies Nummer. Niemand meldete sich, wie zu erwarten. Jetzt reichte es! Ohne zu zögern, tippte Ebba 110.
    Â»Polizeinotruf. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Â»Es geht um meine Schwester Rosie, Rosamaria Seidel in Schleswig, nein, in Arnis, das ist ein kleines Dorf in der Nähe von Schleswig. Da geht etwas vor.«
    Â»Okay, und wer sind Sie?«
    Ebba haspelte ihre Personalien herunter. »Sie ist in Gefahr. Sie müssen ihr helfen. Verständigen Sie Ihre Kollegen in Schleswig. Die sollen hinfahren. Sofort!«
    Â»Es geht also um Ihre Schwester Rosamaria Seidel in Arnis. Ich muss allerdings noch ein bisschen mehr wissen, um einen Streifenwagen zu

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