Im Dunkel der Schuld
können.
Dass er die Wohnung wollte, um sie hier Schritt für Schritt zu heilen, hatte sie nicht vermutet, und es hatte sie sehr gerührt, als er es ihr sagte. Fortan war der Wikingturm oft ihr Ziel gewesen. Sie besaÃen beide einen Schlüssel, ansonsten gab es keine Anzeichen, dass in der Wohnung jemand lebte. Sie lebten ja auch nicht hier, sondern hielten Lektionen ab. Und jedes Mal kam sie der Erlösung ein Stück näher.
Schritte. Dann hörte sie, wie er den Schlüssel ins Schloss steckte. Es dämmerte bereits. Sie sollte längst vorn sein, an der Fensterfront, möglichst auf dem Balkon. Das würde ihn freuen. Manchmal schaffte sie es. Heute nicht. Die Schneeflocken irritierten sie. Es war, als lösten sie oben und unten auf, als würde sie, wenn sie die Balkontür öffnete, hinausgezogen werden in das unendliche WeiÃ. Sie hatte Angst davor, schreckliche Angst. Nur deshalb bekam sie keinen Schritt vor den anderen.
Die Tür in ihrem Rücken wurde sanft aufgedrückt. Sie wich zur Seite. Da war er. Wie gut er wieder aussah in seiner Lederjacke und dem weichen Hut! Sein Atem dampfte, als er sie begrüÃte. Kein Kuss heute, natürlich nicht. Den hatte sie sich nicht verdient. Sie stand ja an der Tür, nicht am Fenster.
Er sah sie eindringlich an.
»Was ist?« Seine Stimme klang kalt wie der Winter, der noch einmal verspätet übers Land gezogen war.
»Ich schaff es nicht.«
Er zog die Flasche aus der Jackentasche und schraubte sie auf. »Trink, meine Liebe. Gut so. Ja, mach eine Pause, wenn es nicht auf einmal geht. Und jetzt trink weiter. Leer. Jaaa. Ganz leer. Guuut. Und nun geh. Es ist ganz leicht. Geh. Ich bin hinter dir.«
Sie deutete auf seine Hände. »Willst du nicht die Handschuhe ausziehen und â¦Â«
»Erst auf dem Balkon, Rosie. Geh. Geh rückwärts, wenn du es anders nicht kannst. Du weiÃt doch, wie es funktioniert. Geh.«
Sie machte einen Schritt zurück, forschte in seinem Gesicht nach einem Funken Anerkennung oder Zuneigung, aber noch war es tot, wie immer, wenn sie ihn enttäuschte. Weiter, weiter, noch einen Schritt. Das dunkle Blau seiner Augen erwärmte sich, oder bildete sie es sich nur ein? Noch einen Schritt.
»Hast du die Geschichte aufgeschrieben, so wie wir es vereinbart haben?«
Sie nickte und öffnete fahrig den ReiÃverschluss ihrer Umhängetasche, entnahm ein Blatt Papier und hielt es ihm hin. Wenn ihm die Geschichte gefiel, würde er lächeln. Vielleicht erlieà er ihr die Ãbung mit dem Balkon.
Er zog die Handschuhe nicht aus, ergriff den Bogen, überflog ihn, und verzog den Mund, aber es war eher ein kaltes Zucken als das gewohnte warme Lächeln.
»Das hört sich sehr gut an, Liebes«, sagte er leise und lieà das Blatt zu Boden zu fallen. »Abgrund, Tiefe, Depression, Sehnsucht nach Frieden. Schön hast du das formuliert. Wie ist es dir dabei gegangen?«
»Mir war kalt, und ich hatte Angst.«
»So sollte es sein, das ist gut. Wo hast du es geschrieben?«
»Zu Hause am neuen Computer, wie du es wolltest. Ich habe nicht schlafen können, so sehr hat mich alles beschäftigt. Ich habe viel an früher gedacht.«
»Wir werden das Blatt Ebba widmen. Nimm einen Kugelschreiber und schreib âºFür Ebbaâ¹ oben hin.«
Rosie kniete sich auf den kalten Boden, schrieb, dann sah sie zu ihm hoch. Lächelte er? War er mit ihr zufrieden? Alles drehte sich, er auch.
»Isdasgut?«, hörte sie sich wie eine Fremde nuscheln.
»Sehr guuut. Und nun ganz unten deine Unterschrift.«
»Issas kein Text für â für unser Buch?«
»Es wird das Vorwort werden. Deshalb ist deine Unterschrift wichtig. Und noch das Datum von heute. Gut machst du das. Jetzt ist das Buch bald fertig. Unser Buch, mit dem du vielen Menschen helfen wirst. Und auch deine Therapie ist bald zu Ende. Spürst du es? Es geht dir besser, nicht wahr? Du fühlst dich stärker als früher, oder? Die Ãbungen tun dir gut, ich sehe das. Steh auf. Jaaa. Guuut. Jetzt geh. Zeig mir, dass du stark bist. Wenn du es einmal allein schaffst, wirst du es nie mehr zu wiederholen brauchen. Ist das nicht ein gutes Gefühl? Geh, geh! Dreh dich um und öffne die Balkontür. Braves Mädchen. Du bist meine GroÃe. Mach das Licht aus. Ja, so ist es gut. Geh an das Geländer. Guuut. Lass deine Hände über die Stange nach auÃen
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