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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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mehr atmen.«
    Sie lacht, es ist ein ganz hohes Lachen, das entsetzlichste Lachen, das ich jemals gehört habe.
    »Und Sie, Elise, wollen Sie gar nichts sagen? Nichts zu diesem historischen Augenblick beisteuern?«
    Benoît hat mich betrogen.
    Ich werde bei lebendigem Leib verbrannt.
    »Wissen Sie, angeblich ist es so … daß man erstickt. Denken Sie an Jeanne d’Arc. Eine Nationalheldin. Und es heißt, daß ihr Freund, Gilles de Rais, zum Tod verurteilt wurde, weil er an die fünfzig Kinder gefoltert und ermordet haben soll. Eine amüsante Parallele, finden Sie nicht?«
    Ja, zum Totlachen. Elise d’Arc und Hélène de Rais. Ein Monumentalfilm an Originalschauplätzen gedreht. Aber das ist einfach nicht wahr! Ich werde nicht auf diese Art und Weise sterben!
    »Virginie! Komm aus deinem Versteck, mein Liebling, Mama muß jetzt gehen.«
    Wo ist sie? Sie darf ihr Versteck nicht verlassen. Hélène wird sie irgendwo festbinden und sie mit uns zusammen dem Flammenmeer überlassen, ich spüre am Klang ihrer Stimme, daß sie sich in einer anderen Dimension befindet, in einer Dimension, in der kein Platz mehr ist für menschliche Gefühle. Bleib, wo du bist, Virginie, ich flehe dich an!
    »Virginie! Mama wird sehr ärgerlich werden, und du weißt, was für schlimme Dinge passieren, wenn Mama böse wird.«
    Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen. Und ich höre noch jemanden, jemanden, der leise weint. Ich denke, es ist Jean Guillaume. Yvette ist nicht wach geworden. Sie wird sterben, ohne etwas zu spüren.
    »Na, dann eben nicht, Virginie, Mama geht jetzt. Ach, ich habe meine Kassette vergessen. Haben meine Aufnahmen Sie gut unterhalten, Elise? Es hat viel Spaß gemacht, sie zusammenzutragen, wissen Sie, mit einem dieser kleinen Diktiergeräte … die sich von allein einschalten, sobald jemand spricht.«
    Anscheinend bedient sie das Gerät, dann hört man eine Stimme, die sagt: »Es ist schon spät, wir müssen los. Gute Nacht, Yvette, gute Nacht, Elise, gute Nacht, Jean.«
    Pauls Stimme. Es ist eigenartig, einen Toten sprechen zu hören. Vor allem, wenn er für uns eine eher belanglose Nachricht hat. Das Band wird vorgespult, jetzt hört man Yvette:
    »Schön, daß sie gekommen sind. Rufen Sie an, Hélène.«
    »Von wegen!« meint Hélène höhnisch. »Nun, mit dem Feuer werdet ihr alle Sorgen, die das Leben so mit sich bringt, mit einem Schlag los. Elise wird keinen Rollstuhl mehr brauchen, Tony muß nicht mehr in die Irrenanstalt, Jean können seine Cholesterinwerte egal sein … Also dann, auf Wiedersehen … Na, Jean, nun weinen Sie mal nicht! Seien Sie tapfer! Ich muß jetzt gehen, ich habe noch eine Aufgabe zu erfüllen …«
    Ein knisterndes Geräusch. Ein unverkennbares Knistern und der Geruch einer Kerze.
    »Virginie! Du hast genau zehn Sekunden, um herzukommen!«
    »Sie hat den Volant am Sofa in Brand gesetzt«, informiert mich Tony mit seiner wegen des gebrochenen Nasenbeins verzerrt klingenden Stimme.
    »Ich hab’ gesagt, du sollst das Maul halten, du mieses Schwein!«
    Ich spüre, wie ihr Bein mich streift, als sie ihm ins Gesicht tritt. Tonys Kopf prallt gegen die Wand. Er sagt nichts, kann aber ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Das Knistern der Flammen wird immer lauter, ich spüre sie, sie sind real, ich spüre ihre Hitze, wir werden alle sterben, ICH WILL
    NICHT! Mein Arm schnellt mit geballter Faust vor und trifft auf etwas Weiches, ihren Magen, sie krümmt sich, ich betätige den Knopf, und der Rollstuhl macht einen Satz, fährt frontal gegen ihre Beine, sie taumelt, ich höre, wie sie mit einem spitzen Aufschrei umfällt, das Geräusch des umstürzenden Tisches, ich fahre weiter vorwärts, die Räder holpern über ihre Knöchel und plötzlich stößt sie einen furchtbaren Schrei aus.
    »Mein Gott, ihre Haare …«, murmelt Guillaume.
    Hélène brüllt. Ein Luftzug, Brandgeruch. Sie läuft um mich herum.
    Ihre Haare haben Feuer gefangen.
    »Zurück!« brüllt Tony.
    Ich fahre rückwärts, der Rollstuhl kracht gegen die Wand.
    Ein dumpfer Knall. Hélène stößt einen Schrei aus, der an ein wildgewordenes Tier erinnert.
    »Ihr Kleid«, sagt Tony, als würde er ein Spiel der Fußballweltmeisterschaft kommentieren. »Ihr Kleid hat Feuer gefangen. Sie hat sich in eine lodernde Fackel verwandelt.«
    Ich muß unwillkürlich an religiös motivierte Selbstverbrennungen denken … aber das hier spielt sich unmittelbar neben mir ab, eine Frau, ein Wesen aus Fleisch und Blut brüllt, und wir

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