Im Dunkel der Waelder
auf den Weg, wobei sie mir zuflüstert: »Sie haben den Leichnam auf einer Bahre abtransportiert. Er steckte in einem Plastiksack, genau wie man das im Fernsehen immer sieht. Es war schrecklich. Hoffentlich hat Virginie das nicht mitbekommen.«
Auf dem Rückweg sind wir alle traurig gestimmt. Keiner sagt ein Wort. Ich bin traurig, schrecklich traurig und wie benommen. Wenn ich mir vorstelle, daß man Mathieu vielleicht hätte retten können, wenn Virginie nur rechtzeitig etwas gesagt hätte … Wie sie geweint hat! Das arme Kind ist völlig fassungslos. Vorhin war ich unheimlich wütend auf sie. Jetzt weiß ich nicht, was ich denken soll. Ich mache mir Sorgen um sie. Mathieu ist ermordet worden. Wie sie es mir gesagt hat. Und wenn sie ganz einfach die Gabe hat, Dinge vorherzusehen?
Es ist kalt im Wohnzimmer. Am Abend hat es sich stark abgekühlt. Yvette hat Virginie nach Hause gebracht und anschließend angefangen zu bügeln. Dabei unterhält sie mich.
»Die armen Fanstens, das war vielleicht ein Schock für sie! Sie denken vermutlich, daß Renauds Mörder ganz in ihrer Nähe ist. Und Virginie konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen! Es war schrecklich. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Paul zu Hause gewesen wäre, aber er war noch bei einem Kunden oder was weiß ich. Auf dem Heimweg habe ich Stéphane Migoin getroffen. Den Verband hat man ihm schon wieder abgenommen. Ich soll Sie von ihm grüßen. Er hatte es eilig, er mußte auf eine Baustelle.«
Stimmt, er ist ja im Baugewerbe beschäftigt. Wenn ich mich recht erinnere, hat er Paul über die Bank kennengelernt. Ja, so war es, er ist Kunde bei der Bank, für die Paul arbeitet, und als stellvertretender Filialleiter kümmert er sich persönlich um Stéphanes Bankgeschäfte. Sie haben festgestellt, daß sie beide begeisterte Jogger sind und träumen davon, einmal beim New-York-Marathon mitzulaufen. Sie trainieren wie die Verrückten. Laufen, das hat mir nie sonderlich viel Spaß gemacht, vor allem nicht auf Asphalt. Ah! Die Nachrichten … Immer das gleiche … Ah, da kommt es:
»Grausamer Mord im Großraum Paris. Mathieu Golbert, ein neun Jahre alter Junge, wurde heute nachmittag auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums ermordet aufgefunden. Dieses abscheuliche Verbrechen wurde vermutlich von dem gleichen Täter begangen, der in dieser Gegend vor zwei Monaten den kleinen achtjährigen Michael Massenet umgebracht hat. Seit heute herrschen Angst und Schrecken in Boissy-les-Colombes. Unser Sonderberichterstatter Michel Falcon befindet sich vor Ort. Nun, Michel …«
»Guten Abend. Hier spricht Michel Falcon. In Boissy-les-Colombes, wo in weniger als zwei Monaten zwei Kinder ermordet wurden, ist man zutiefst betroffen. Heute scheint sich nun der Verdacht erhärtet zu haben, daß es eine Verbindung zwischen diesem Verbrechen und anderen ungelösten Mordfällen gibt, die bis zu fünf Jahren zurückliegen. Eine Hypothese, die nicht gerade dazu führt, die friedlichen Bürger dieser Gemeinde zu beruhigen. Heute Abend herrscht in Boissy-les-Colombes panische Angst, und schon werden die ersten Stimmen laut, eine Bürgerwehr einzurichten. Kommissar Yssart, der die Untersuchung leitet, möchte noch keine Stellungnahme abgeben, aber – das hat er uns bestätigt – es gibt eine heiße Spur. «
Nun werden die anderen Morde kurz zusammengefaßt, sicher zeigen sie auch Fotos der Kinder. Interview mit einem Rentner, einer Hausfrau und einem Kraftfahrzeugmechaniker. Schreie, Tränen, eine Tür, die zugeschlagen wird, ein Mann, der ruft: »Lassen Sie uns gefälligst in Ruhe.« Das ist die Familie von Mathieu, »die, scheinbar unter dem Schock der Ereignisse, nicht in der Verfassung war, mit unserem Kamerateam zu sprechen. «
Das Telefon läutet. Yvette steht mürrisch auf. Der Sprecher berichtet nun über eine Segelregatta entlang der Mittelmeerküste.
»Hallo? Ach, Sie sind es, Jean. Guten Abend … Ja, es ist schrecklich, nicht wahr? Wir sind ganz bestürzt. Nein, Sie stören nicht. Das ist freundlich, danke … Morgen, ja, jederzeit. Das Schlimme ist, wir waren da, im Einkaufszentrum … Ja, Virginie hat mit dem Jungen noch gespielt, kurz bevor er verschwunden ist, stellen Sie sich das mal vor …! Wie Sie selbst sagen …«
Es ist schwierig, gleichzeitig Yvettes Unterhaltung mit Jean Guillaume und die Nachrichten zu verfolgen. Es läutet wieder, diesmal aber an der Haustür. Es geht zu wie in einem Taubenschlag. Yvette entschuldigt sich, hängt ein und läuft zur
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