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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Tür.
    »Ist Mademoiselle Andrioli zu Hause?«
    Yssart! Na, der muß ja aus Paris geradezu hierher geflogen sein.
    »Hier entlang. Wir essen gerade.«
    »Tut mir leid, daß ich störe. Guten Appetit. Guten Abend, Mademoiselle.«
    Zeigefinger.
    »Als ich erfuhr, was geschehen war, bin ich sofort hergefahren. Wenn Sie gestatten, würde ich gerne mit Mademoiselle Andrioli allein sprechen.«
    Und hopp, schon rollt er mich rasant in den Flur – ich rieche das Bohnerwachs, das Yvette heute morgen aufgetragen hat.
    »Merkwürdiger Zufall, nicht wahr, daß Sie und die kleine Virginie mit schöner Regelmäßigkeit am Tatort auftauchen? Wissen Sie, daß mir diese Reihe von Zufällen außerordentlich mißfällt? Im Fall von Mathieu Golbert hat der Mörder dem Kind den Brustkorb aufgeschnitten und das Herz entfernt. Natürlich erst, nachdem er tot war.«
    Natürlich. Ich glaube, ich muß mich übergeben!
    »Der Leichnam lag zwischen zwei Autos. Es war ausgesprochen leichtsinnig vom Mörder, seine Tat am hellichten Tag auf einem vielbefahrenen Parkplatz zu begehen. Doch andererseits, wenn man zwischen den Fahrzeugen kniet, ist man für die Überwachungskameras unsichtbar, das habe ich überprüft … Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß der Mörder mit dem Herz seines Opfers in der Tasche geflüchtet ist. Wissen Sie, was ich eher glaube? Daß er mit dem Auto gekommen und anschließend wieder weggefahren ist. Das Problem bei diesen Parkplätzen mit Münzautomaten ist, daß der Angestellte im allgemeinen nicht auf die Fahrzeuge achtet, aber man kann nie wissen. Sie sehen, ich spiele bei Ihnen mit offenen Karten. Weiß Virginie irgend etwas?«
    Dieser Kerl macht mich ganz fertig. Er spricht wahnsinnig schnell und knallt mir fünfzig verschiedene Informationen gleichzeitig vor die Füße. Ob Virginie irgend etwas weiß? Darüber weiß ich nicht Bescheid. Ich hebe den Zeigefinger aufs Geratewohl.
    »Hat sie Mathieu mit jemandem weggehen sehen?«
    Halber Zeigefinger. Das heißt, ich hebe den Zeigefinger, winkle ihn aber ab.
    »Hat sie jemanden gesehen, den sie kennt?«
    Zeigefinger.
    »Wen? Wissen Sie das?«
    Kein Zeigefinger. Er seufzt.
    »Jeder Mörder hat ein Motiv. Vorsicht, das heißt nicht, daß das Motiv für uns immer einsichtig ist. Nein, ein Motiv ist stets sehr persönlich. Ein Mörder kann zum Beispiel beschließen, daß er Ohren sammeln will. Oder jeden umzubringen, der größer ist als 1,82 und gelbe Mokassins trägt. Oder nehmen wir zum Beispiel diesen englischen Mörder, der seine Geliebten im Schlaf erwürgte und die Leichen im Haus behielt, um mit ihnen gemeinsam fernzusehen. Sie verstehen, was ich meine? Wenn man versucht, einen Verrückten zu schnappen, indem man sich ein ›vernünftiges‹ Motiv überlegt, ist man rasch auf dem Holzweg. Doch wenn man glaubt, der Täter gehe planlos vor, töte aus Spaß am Töten, liegt man auch falsch. Wenn er irrational vorgehen würde, wären seine Opfer ganz unterschiedlich. Doch das kommt selten vor. In 99% der Fälle sucht sich ein Psychopath immer wieder ähnliche Opfer aus. Er verfolgt hartnäckig ein Ziel und findet nur dann Befriedigung, wenn er bestimmte Leute auf bestimmte Art und Weise umbringt. Aber ich langweile Sie mit meinem Vortrag. Ich war auf dem Weg zu den Fanstens und bin rein zufällig hier vorbeigekommen. Es ist immer ein Vergnügen, sich mit Ihnen zu unterhalten. Nun, ich muß jetzt gehen, meine Liebe. Und überanstrengen Sie sich nicht. In Ihrem Leben scheint es zur Zeit ja ganz schön turbulent zuzugehen.«
    Gemeiner Kerl! Er fährt mich zurück ins Wohnzimmer, und bevor ihm Yvette überhaupt auf Wiedersehen sagen kann, ist er auch schon verschwunden. Dieser Typ ist unmöglich. Ein Mörder läuft frei herum, und unterdessen hält mir ein Kommissar mit einem Clownsgesicht Vorträge über das Seelenleben von Mördern. Vor sich hin schimpfend deckt Yvette den Tisch ab.
    Ich muß wieder an Mathieu denken. Der arme kleine Junge. Ich bekomme eine Gänsehaut. Als ich im Krankenhaus war und begriffen hatte, daß Benoît tot war, wollte ich wie eine Wölfin losheulen. Und es vergingen viele Tage, an denen ich nicht glauben konnte, daß er niemals wieder mit mir sprechen, niemals wieder bei mir sein und mich niemals wieder zum Lachen bringen würde. Heute Abend hatte Mathieus Mutter sicher das Bedürfnis, wie eine Wölfin zu heulen. Und Hélène, die ruhige und freundliche Hélène, wie groß wird ihre Angst um Virginie sein? Obwohl Virginie ein Mädchen ist.

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