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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Denn, wenn ich so darüber nachdenke, sind alle Opfer männlich. Der Mörder fühlt sich möglicherweise von kleinen Jungen angezogen. »Immer wieder ähnliche Opfer«, hat Bonzo, der Clown gesagt. Ich möchte das alles aus meinen Gedanken verbannen. Aber ich kann nicht, ich kann nicht einfach sagen: »Hör auf, darüber nachzudenken«. Wenn ich doch bloß nicht Mathieus Stimme gehört hätte, wenn es doch nur ein mir unbekannter Name wäre, den ich aus dem Fernsehen hätte. Ich hatte mich so darüber gefreut, die Fanstens kennenzulernen, und jetzt dieser ganze Schlamassel …

6
    Heute morgen findet die Beerdigung von Mathieu Golbert statt. Natürlich gehen alle hin: die Mondinis, die Quinsons, die Migoins. Yvette ist vor einer halben Stunde mit Paul losgefahren, Hélène weigert sich hinzugehen. Ich höre, wie sie nervös in einer Zeitschrift blättert, als säße sie im Wartezimmer eines Arztes. Als Yvette hörte, daß sie zu Hause bleiben wollte, schlug sie vor, sie solle mir doch Gesellschaft leisten, während sie auf der Beerdigung sei. »Dann sitzt sie wenigstens nicht allein zu Hause und bläst Trübsal«, meinte sie. Virginie spielt draußen mit ihren Puppen. Eine von ihnen kriegt gerade eine ordentliche Tracht Prügel: »So, so, du böses Mädchen, das kommt davon.« Klatsch, klatsch, ich weiß nicht, was sie ausgefressen hat, aber Virginie ist nicht zu bremsen.
    Anscheinend ist das Wetter sehr schön: Ein wolkenloser, blauer Himmel und kein Lüftchen. Ich stelle mir vor, wie sich der Leichenzug aus Trauermienen in der sengenden Sonne entlang den ausgetrockeneten Feldern voranbewegt. Wenn ich daran denke, daß Benoît auf diesem Friedhof begraben liegt … Es ist noch ein sehr neuer Friedhof; soweit ich mich erinnere, wurde er 1976 in einem ruhigen Ort im Grünen angelegt. Ich habe nicht einmal hingehen und Benoîts Grab besuchen können. Yvette hat mir erzählt, daß auch Renaud dort begraben liegt. Ich verstehe, daß es über Hélènes Kräfte geht, an der Beerdigung eines kleinen Jungen teilzunehmen, der neben dem Sohn ihres Mannes beigesetzt wird. Ob der Mörder auch zur Beerdigung kommt? In Filmen sieht man das sehr oft.
    Hélène ist recht schweigsam. Von Zeit zu Zeit eine Bemerkung über das Wetter, über die Uhrzeit; gerade hat sie ein Streichholz angezündet, und ich rieche, wie sich der Zigarettenrauch im Zimmer ausbreitet. Das Rascheln der fahrig umgeblätterten Seiten. Ihr Atem geht schnell. Zu schnell.
    »Das Schlimmste ist, zu wissen, daß er in dieser kleinen Kiste liegt. Dein Kind in einer kleinen Kiste. Wie … wie ein Paket. Nicht viel größer als … als zum Beispiel eine Weinkiste. Das ist doch wirklich komisch, oder?«
    Es geht ihr nicht gut. Ich glaube an meinem Speichel zu ersticken. Ihre Stimme zittert. Hoffentlich fängt sie nicht an zu weinen! Ich weiß nie, wie ich mich verhalten soll, wenn Leute weinen.
    »Paul wollte zur Beerdigung gehen. Ich weiß nicht, warum, wir kennen diese Leute ja kaum, aber er wollte unbedingt hingehen, aus Solidarität. Ein großes Wort. Davon bekommen sie ihren Sohn auch nicht zurück. Ich war dagegen, aber wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat … Ich wollte nicht allein bleiben, nicht an einem solchen Tag. Entschuldigen Sie, Elise, ich langweile Sie sicher mit meinem Geschwätz.«
    Aber nein, überhaupt nicht, Hélène, aber wie soll ich Ihnen das klarmachen? Wie soll ich Ihnen sagen, daß ich Ihren Kummer verstehe? Dieser verfluchte Körper, versagt mir den Dienst … Mist, jetzt kommt Virginie.
    »Kann ich etwas Wasser haben, Mama? Was hast du denn, Mama?«
    »Nichts, mein Liebling. Hol dir Wasser aus der Küche.«
    »Bist du traurig wegen Mathieu?«
    »Ja, ein bißchen.«
    »Es ist nicht schlimm, Mathieu ist bestimmt froh, daß er in den Himmel kommt.«
    »Ja, sicher. Hol dir schnell etwas zu trinken.«
    Eilige Trippelschritte.
    »Es ärgert mich, daß ich mich so aufführe. Es ist lächerlich. Gott sei Dank sieht mich Paul nicht. Er findet meine Krisen unerträglich.«
    Der gute Paul scheint ja wirklich ein Musterbeispiel an Geduld zu sein! Jetzt verstehe ich besser, warum Hélène immer so abwesend und traurig wirkt. Virginie saust wie ein Wirbelsturm vorbei und rennt lärmend in den Garten hinaus. Der Tod ihres kleinen Freundes scheint sie absolut nicht zu berühren. Wenn ich daran denke, wie sehr sie neulich geweint hat, kommt mir das merkwürdig vor. Sie hat offenbar alles verdrängt und will nicht mehr daran denken.
    Wie spät

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