Im Dunkel der Waelder
Lise?« erkundigt sich Paul zuvorkommend.
Kein Zeigefinger. Ich komme um vor Hitze, Yvette hat mich angezogen, als ginge es zu einer Polarexpedition.
»Glaubst du, sie friert?« fragte Paul Hélène.
»Wenn Sie frieren würde, hätte sie dir geantwortet, oder?«
Ein Ehekrach zeichnete sich am Horizont ab. In einer Linkskurve gleite ich zur Seite.
»Du könntest etwas aufpassen! Du fährst wie ein Verrückter!« ruft Hélène.
Bingo!
»Oh, hör auf, als würde dir das nie passieren! Hast du gesehen, wie der die Kurve geschnitten hat?«
»Natürlich, um eine Ausrede bist du ja nie verlegen!«
Hallo, hallo, ich bin völlig auf die Seite gerutscht.
»Wie du einem manchmal auf die Nerven gehen kannst!«
»Du drehst mir das Wort im Mund um! Aber das mußte ja kommen. Du hattest schon schlechte Laune, als wir losgefahren sind.«
»Was?! Du hattest schlechte Laune! Den ganzen Nachmittag über hast du noch keinen Ton gesagt!«
»Was soll ich denn sagen? Soll ich mich über die alten Steinhaufen begeistern, an denen wir vorbeifahren? Entschuldigung, aber es gibt doch wohl aufregendere Arten, seine Zeit zu verbringen, als durch den Regen zu fahren wie die Rentner.«
»Genau, du mußt ja immer alles schlechtmachen!«
Vollbremsung, ich sacke vornüber. Eine Tür fällt ins Schloß.
»Idiot«, schimpft Hélène hinten.
»Wohin geht Papa?«
»Pipi machen.«
»Ich muß auch mal.«
Noch eine Tür fällt ins Schloß.
Ich bin ganz an die Beifahrertür gerutscht, doch das fällt niemandem auf. Schade, denn wenn wir noch lange so weiter fahren, muß ich mich übergeben. Pauls Tür öffnet sich.
»Na, hat der Herr sich beruhigt?«
»Hör jetzt bitte auf, okay? Das ist wirklich nicht der richtige Augenblick, okay?«
»Und warum nicht?«
»Du hast Glück, daß du eine Frau bist, manchmal könnte ich dich …«
»Früher warst du nicht so anspruchsvoll, oder? Als du mich gebraucht hast.«
»Verfluchte …«
Klatsch. Offenbar hat Paul wirklich im Augenblick eine sehr lose Hand.
»Wie kannst du es wagen?! Hast du den Verstand verloren, oder was?«
Türenschlagen, Geschrei.
»Mama, Papa, hört auf! Hört auf!«
Ich würde gern den Kopf heben. Ich wäre gern weit weg. Solche Situationen sind mir zuwider. Knall, knall, knall; alle steigen wieder in den Wagen. Eisiges Schweigen. Paul schaltet das Radio ein. Beethovens Musik dröhnt durch den Wagen. Nervöses Anlassen. Wir fahren los. Ich hänge da, wie ein nasser Sack an einem Nagel. Wirklich ein toller Ausflug! Was hat sie vorhin gemeint, als sie ihm vorgeworfen hat: ›Als du mich gebraucht hast‹? Aber eigentlich geht es mich ja nichts an, und im Grunde weiß ich nichts über diese Leute. Ich frage mich sowieso, warum sie sich derart für mich interessieren. Schließlich bin ich keine sonderlich unterhaltsame Gesellschaft. Man könnte fast sagen, wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Na ja … Virginie scheint sich wieder in ihr Buch vertieft zu haben. Wenn sich jetzt die Eltern zu allem Überfluß auch noch streiten, ist das nicht gerade einfach für sie. Ich verstehe, warum sie sich vorstellt, daß ihr Bruder noch immer ›lebt‹. Puuh!
Beethoven wird kurz von den Nachrichten unterbrochen. Bla, bla, bla. Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe: Im Zuge der Ermittlungen im Mordfall Michael Massenet in Boissy-les-Colombes sucht die Polizei nach Zeugen, die am Samstag, dem 28. Mai, gegen 13 Uhr auf der D 91 in der Ortschaft La Furetière einen weißen oder cremefarbenen Kombi gesehen haben.
Sarajewo: Die serbische Artillerie eröffnet erneut …«
Anderer Sender: Rockmusik.
»Ein Kombi, ist das so wie unser Auto?«
»Ja.«
»Und unser Auto ist auch weiß«, fährt Virginie fort.
»Vielen Dank, darauf wären wir nie gekommen«, brummt Paul.
»Es gibt viele Autos wie das unsere«, erklärt Hélène. »Monsieur Guillaume fährt auch einen weißen Kombi.«
Mein kleines Gehirn arbeitet auf vollen Touren. Yssart hatte mir gesagt, daß es eine falsche Fährte sei. Anscheinend ist dem nicht so. Ein weißer oder cremefarbener Kombi. Wie der ihre oder der von Jean Guillaume. Das eröffnet ganz neue Perspektiven in den Ermittlungen. Schließlich war Guillaume der erste, der dazukam, als man mich zu ertränken versuchte. Wer könnte besser als erster an Ort und Stelle gewesen sein als der, der mich ins Wasser gestoßen hat? Nein, Blödsinn: Der arme Jean hat nichts mit einem Mörder gemein. Außerdem, warum hätte er mich retten sollen, wenn er es
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