Im Dunkel der Waelder
einem unheimlichen Film. Die Haustür.
»Was für ein gräßliches Wetter! Ich bin völlig durchnäßt! Ich mache uns einen schönen heißen Kräutertee.«
Igitt.
»Einen leckeren Eisenkrauttee … Das wird Sie wieder munter machen.«
Pfui Teufel. Einen Calvados, einen Calvados!
»Ich habe die Zeitung gekauft, um zu sehen, ob es etwas Neues gibt. Im Fernsehen bringen sie ja nie Einzelheiten.«
Ah gut, ich bin ganz Ohr.
»So, ich habe Wasser aufgesetzt. Also … wo ist denn nur meine Brille?«
Ich bin sicher, du hast sie wie immer um den Hals hängen.
»Mein Gott, bin ich dumm! Ich habe sie ja um den Hals.«
Bingo!
Sie wendet die Seiten um und liest:
»Die Überschwemmungen … die bosnischen Serben … Das Fußballspiel Frankreich-Bulgarien … Die Regional wahlen … Die Restaurierung der Kathedrale … ah, da ist es ja: ›Wurde Michael Massenet in der Forsthütte ermordet? Diese Frage stellt sich durchaus. Die eilig durchgeführten Laboranalysen haben ergeben, daß das Blut auf den Herrenkleidungsstücken – siehe unsere gestrige Ausgabe – von dem kleinen Michael stammt. Was die Kleidungsstücke angeht (ein grauer Wollpullover, Jeans, ein Paar schwarze Handschuhe), so gehören sie einem Mann von etwa 1,85; Konfektionsgröße 52, mit sehr großen Händen. Alles, was ich sagen kann, erklärte Kommissar Yssart, ist, daß die Ermittlungen erheblich fortgeschritten sind.‹ Also mit diesen Indizien«, fährt Yvette fort, »müßten sie ihn ja finden können. Noch dazu gibt es sicherlich Haare auf dem Pullover. Heutzutage verfügen ja die Labors über so präzise Apparate, daß sie anhand eines Haares so manches feststellen können, die Größe des Mannes, die Hautfarbe usw. Oh, hoffentlich schnappen sie ihn endlich! 1,85 m, wie groß ist das denn? Ungefähr so groß wie Stéphane. Ja. Viel größer als Jean und auch gut einen halben Kopf größer als Paul. Ich lese Ihnen den Rest vor: ›Werden diese neuen Hinweise endlich Licht in die bestialischen Morde von Boissy-les-Colombes bringen, die bisher ungeklärt blieben? 11. Juni 1991: Victor Legendre. 13. August 1992: Charles-Eric Galliano. 15. April 1993: Renaud Fansten. 28. Mai 1995: Michael Massenet. Und am 22. Juli dieses Jahres wurde Mathieu Golbert auf grausame Weise umgebracht. Eine unheimliche Bilanz, unter die die Untersuchungsbeamten bald einen Schlußstrich zu ziehen hoffen.‹ Nun, in der Zeitung von morgen werden sicher nähere Einzelheiten stehen. Ich rufe mal Hélène an, vielleicht hat sich ja die Polizei bei ihr gemeldet.«
Sie hantierte mit dem Telefon. Die arme Hélène! Diese neuen Morde und all die Aufregung müssen sie ständig an Renauds Tod erinnern. Wie ein immer wiederkehrender Albtraum. Und für die anderen betroffenen Eltern muß es ebenso sein. Das Schlimmste ist, daß ja irgend jemand die Morde begangen haben muß. Hinter dem Etikett ›Sadist‹ verbirgt sich jemand, der spricht, ißt, lacht und arbeitet, als wäre nichts gewesen. Ein Mensch, der fähig ist, ein Kind zu erwürgen und ihm die Augen oder das Herz herauszuschneiden. Warum hat Yssart mir das eigentlich erzählt? Ich hätte gern auf dieses Detail verzichtet.
»Inspektor Gassin war bei ihnen. Er hat sie gebeten, sich morgen auf der Polizeiinspektion die Sachen anzusehen, es könnte ja sein, daß sie ihnen bekannt sind. Die Eltern aller Opfer sind bei der Untersuchungsrichterin Blanchard vorgeladen. Und er hat sie um die Namen eventueller Freunde gebeten, auf die die Beschreibung in der Zeitung zutrifft. Sie haben Stéphane nennen müssen. Hélène wirkt erschöpft, sie hat mir gesagt, sie wünsche nichts sehnlicher, als daß endlich alles vorbei wäre. Na, das kann man ja verstehen.«
Fünf Morde in fünf Jahren. Victor, Charles-Eric, Renaud, Michael, Mathieu. Vier der fünf kleinen Jungen wurden grauenvoll verstümmelt. Lange Abstände zwischen den Morden. Von 1993 bis 1995 nichts, und dann plötzlich … Was ist in den letzten sechs Monaten geschehen? Die Tötungsmaschine hat sich plötzlich wieder in Marsch gesetzt. Warum? Hängt es damit zusammen, daß ich Virginie kennengelernt habe? Virginie ist sicher der Schlüssel zu der Sache, aber ich weiß nicht, in welches Schloß er gehört. Und diese Herrenkleidungsstücke in der Forsthütte … Der Mörder muß doch damit gerechnet haben, daß man sie findet. Und wer hat die Polizei angerufen? Dieser eigenartige anonyme Anruf … Wer mag dahinterstecken? Jemand, der die Sachen zufällig entdeckt hat und nicht in
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