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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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antwortet Paul.
    »Es hat sehr lange gedauert … , aber die Richterin ist, glaube ich, gut … Für mich nur ein Glas Wasser, bitte«, sagt Hélène.
    »Setzen Sie sich, ich komme gleich. Jean kümmert sich um die Forellen, er hat uns zwei Prachtexemplare mitgebracht.«
    »Guten Abend, Elise.«
    »Hallo, Lise.«
    Zeigefinger.
    Sie setzen sich. Paul seufzt und läßt seine Finger knacken.
    »So, ich hoffe, das Bier ist kalt genug. Nun?«
    Ich lausche gespannt. Paul scheint erst mal zu trinken, denn man hört ihn schlucken, dann antwortet er:
    »Nun, die Richterin hat, ähmm … sie hat eine Exhumierung … hm … der Leichen angeordnet. Da man damals keine Verbindung zwischen den Morden hergestellt hat, ist sie der Auffassung, daß unter diesem Aspekt erneut eine Autopsie vorgenommen werden muß. Begeistert sind wir davon natürlich alle nicht. Aber was sollen wir tun?«
    »Eine Exhumierung? Oh … ja, natürlich …«
    »Sie glauben, daß Michael in der Nähe des Flusses ermordet wurde«, unterbricht Hélène, »und daß sich der Mörder in der Forsthütte umgezogen hat. Um diese Jahreszeit wird sie nicht benutzt.«
    »Aber woher sollte irgend jemand das wissen?« fragt Yvette schlagfertig.
    »Weil ihn jemand gesehen hat – jemand, der aus Angst schweigt«, gibt Paul zurück, während er sein Bier austrinkt.
    Virginie? Nein, die Polizisten hätten den Unterschied zwischen einer Kinderstimme und der Stimme eines Erwachsenen bemerkt … Gibt es also noch jemanden, der Bescheid weiß?
    »Es könnte auch ein Landstreicher gewesen sein, der in der Hütte Unterschlupf suchte und dabei die Sachen entdeckt hat«, ruft Jean Guillaume aus der Küche, wo das Fett in der Pfanne brutzelt.
    »Ein Landstreicher hätte nicht die Polizei angerufen«, stellt Hélène mit müder Stimme fest.
    Kurz, wir drehen uns mit unseren Ermittlungen im Kreis. Wenn nur dieser blöde Yssart vorbekommen würde, vorher habe ich ihn öfter gesehen, als mir lieb war …
    Exhumierung … da läuft es einem kalt über den Rücken. Kleine, bleiche Hände, ein mit feuchter Erde bedeckter Sarg, ein halbverwester Körper, Stofffetzen, Haarsträhnen auf den ausgezehrten Gesichtern, unter der Haut schimmern die Knochen durch … Stop, Elise, nicht weiterdenken. Jetzt wird nicht mehr gedacht.
    »All das ist fürchterlich. Ich hoffe, daß man ihn bald fassen wird«, seufzt Yvette.
    »Bedauerlich, daß man ihn nicht schon früher gefaßt hat«, brummt Paul. »Gehen wir, ich bin mit der Arbeit in Verzug.«
    »Ja, natürlich, ich will Sie nicht aufhalten … Wann findet es statt? Ich meine …?«
    »Die Exhumierung? Übermorgen früh«, antwortet Hélène. »Kommst du, Virginie, wir gehen …«
    »Jetzt schon? Aber die Sendung ist noch nicht zu Ende …«
    »Beeil dich und fang nicht zu quengeln an!«
    »Auf Wiedersehen, Elise, auf Wiedersehen, Yvette, auf Wiedersehen, Onkel Jean.«
    Weiß der Himmel, warum sie ihn ›Onkel Jean‹ nennt. Alle verabschieden sich. Der Mehlsack bleibt nachdenklich in seinem Rollstuhl zurück. Bei dieser Geschichte stimmt nichts. Nichts paßt zusammen. Als würde jemand die Spuren verwischen. Jemand, der das Gesamtbild des Puzzles kennt und die einzelnen Teile zerschneidet, damit wir sie nicht zusammenfügen können.
    »Der arme Paul! Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Zu wissen, daß das eigene Kind wieder ausgegraben wird …«, ruft Jean aus der Küche.
    »Hören Sie auf, davon bekommt man ja Gänsehaut. Können Sie sich das vorstellen, Elise?«
    Zeigefinger.
    »Manche Menschen haben’s wirklich nicht leicht auf dieser Welt, das kann man nicht anders sagen«, fährt Yvette fort.
    Das kann ich nur unterstreichen.
    »Sein Gesicht ist vom Schmerz gezeichnet«, bemerkt Guillaume. »Manchmal wirkt er plötzlich zehn Jahre älter.«
    Ich kann nicht umhin, mir vorzustellen, was ich empfinden würde, wenn man mir plötzlich mitteilen würde, daß man Benoît ausgräbt. Benoît, den man ohne mich begraben hat … Benoît, der mir immer lächelnd unter dem wolkenverhangenen irischen Himmel in Erinnerung bleiben wird und der heute ein fleischloser Körper sein muß, an dem sich die Würmer gütlich tun. Das Leben ist wirklich zu ungerecht. An manchen Tagen möchte man die Welt packen und mit beiden Händen wie ein Glas zerbrechen, bis einem das Blut von den Händen tropft.
    »Ißt Elise auch Forelle?«
    »Ich werde sie mit Kartoffeln zerdrücken …«
    Ja, Schweinefutter. Ich habe das Gefühl, ich bin heute abend gräßlich schlecht

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