Im Dunkel der Waelder
gelaunt.
Ich habe ihn! Den neuen elektrischen Rollstuhl. Ich throne darin wie eine Kaiserin. Yvette hat gestern morgen meinen Onkel angerufen, und nachmittags wurde er schon geliefert. Jean hat sich gleich an die Arbeit gemacht, und seit heute morgen ist er mein! Ein Rollstuhl, der von selbst fährt. Und den ich, o Wunder, bedienen kann, ohne auf irgend jemanden angewiesen zu sein. Ich brauche nur mit dem Zeigefinger auf einen Knopf zu drücken. Jean hat kreuzförmig vier kleine Knöpfe angebracht, vorwärts – rückwärts, rechts – links. Im Augenblick kann ich vorwärts und rückwärts bedienen, rechts und links jedoch fällt mir noch etwas schwer. Raybaud, den man konsultiert hat, ist der Auffassung, daß dieser neue Rollstuhl gut für die Beweglichkeit meiner Hand ist, und hat mir wärmstens empfohlen, meine Fertigkeiten darin weiter zu üben. Als täte ich das für ihn! Jedenfalls bewege ich die Knöpfe, fahre im Wohnzimmer vor und zurück, und ich muß sagen, es ist wirklich genial, sich nach Lust und Laune fortbewegen zu können, wenn man monatelang von anderen abhängig war – und wenn es auch nur drei Meter sind.
Während ich mich mit meinem neuen Spielzeug amüsiere, ist die Polizei dabei, die Leichen der Kinder zu exhumieren. In Anwesenheit eines Familienmitglieds. Ich nehme an, Paul ist hingegangen. Und die anderen Väter. Eine Gruppe Männer mit trockenen Augen und zusammengeschnürter Kehle steht im eisigen Wind, den Blick auf die Totengräber geheftet, die die Grube ausheben. Ah, nein. Yvette hat gesagt, daß das Wetter schön ist. Sie hat die Fenster geöffnet, und es riecht nach Herbst und feuchter Erde. Anscheinend tragen die Männer, die die Särge öffnen, einen Mundschutz wie die Ärzte; nicht so sehr wegen des Geruchs, sondern mehr wegen der giftigen Gase. Die Leichen fermentieren in den Särgen. Manchmal kommt es sogar vor, daß einer explodiert. Aber warum lasse ich mich nur immer zu solchen Gedanken hinreißen! Vor, zurück, zurück, vor, ich will mir diesen Friedhof nicht vorstellen, ich will nicht an die verwesten Körper der Kinder denken, vor, zurück.
»Sie werden mit Ihrem Rollstuhl noch eine Spurrille im Parkett hinterlassen!«
O ja, meine gute Yvette, zurück, vor, eine Rille, einen Graben, ein Grab, aufhören!
Das Telefon.
»Hallo? Ah, guten Tag, Catherine. Wie bitte? Nein, nein, das macht nichts, dann kommen Sie eben morgen, ja, ich verstehe … Wenn Sie zum Zahnarzt müssen … Was? Was sagen Sie da …? Aber das ist doch nicht möglich …! Wie haben Sie das erfahren? Ah … Und was sagt er …? Was? Aber das ist doch völlig unsinnig …! Aber warum …? Aber das ist doch kein Grund … Ja, ich verstehe, danke, bis morgen … Elise, es ist furchtbar, Stéphanes Frau … sie hat Selbstmord verübt! Catherine war im Krankenhaus, als sie sie eingeliefert haben.«
Was? Aber was soll das denn nun wieder?
»Sie hat ein Röhrchen Schlaftabletten geschluckt, und die Putzfrau hat sie morgens gefunden … Sie ist tot, Elise!«
Tot? Stéphanes Frau? Umgebracht? Aber was zum Teufel …
»Catherine denkt, daß sie es getan hat, weil er sie verlassen wollte … Also sich deshalb umzubringen … Und niemand weiß, wo er ist, man hat ihn nicht erreichen können … Stellen Sie sich das nur vor, seine Frau ist tot, und er weiß es nicht einmal! Sie haben versucht, ihn über sein Autotelefon zu erreichen, aber er meldet sich nicht. Oh, la la, im Augenblick ist es wirklich furchtbar, ich weiß nicht, was los ist, aber es nimmt anscheinend kein Ende!«
Das stimmt. Sophie tot! Und ich habe immer gedacht, mit Schlaftabletten schafft man es nie. Und wo steckt Stéphane? Ich habe das Gefühl, daß er Ärger bekommen wird, großen Ärger. Was hatte sein Anruf neulich zu bedeuten: »Ich habe Feinde«, und all das … Als hätte er vorausgeahnt, was kommt. Stéphane, der in dem gesuchten weißen Kombi herumfährt … dessen Frau zur rechten Zeit stirbt … und der behauptet, verliebt in mich zu sein. Jemand, der sich in einen Mehlsack verliebt, ist unweigerlich etwas verrückt.
Telefon. Aha, jetzt geht es wieder los, jetzt wird wieder rundgerufen!
»Hallo? Ah, guten Tag, Hélène … Ja, ich weiß, Catherine hat es mir erzählt, das ist grauenvoll … wie … Aber ich verstehe nicht, warum … Ah, ja, natürlich … Und wie geht es Ihnen …? Ja sicher, das kann ich mir vorstellen … Wenn Sie sich zu einsam fühlen, kommen Sie doch vorbei … Kommen Sie zum Kaffee … Ja gut, bis gleich.
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