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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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zur Ruhe setzt, nachdem er einem anderen die Schuld in die Schuhe geschoben hat? Leider können solche Verrückten im allgemeinen nicht einfach aufhören.
    »Oh, es ist schon spät, ich habe die Zeit über dieser grausamen Geschichte ganz vergessen, wir müssen gehen.«
    Hélène räumt das Geschirr ab, schaltet den Fernseher aus, und schon sind wir unterwegs, ich mit meinen Gedanken, die mir wild durch den Kopf schießen, sie mit ihren Ängsten und ihrem Kummer.

    In der Bibliothek drehen sich alle Gespräche um Stéphane. Die meisten sind davon überzeugt, daß er der Mörder ist, und der Fall wird lebhaft diskutiert:
    »Dabei war er immer so freundlich …«
    »Das hätte man nicht für möglich gehalten … Wenn man bedenkt, daß er sich um den Fußballverein gekümmert hat …«
    »Er war immer zu Scherzen aufgelegt …«
    »Sich vorzustellen, daß er fünf Menschen umgebracht hat!«
    »Ein Triebtäter … Seine Frau hat sich mal darüber beklagt, daß er merkwürdige Dinge von ihr verlangt …«
    »Ich fand ihn immer irgendwie eigenartig …«
    »Löwe, Aszendent Fisch, ein Mensch mit zwei Naturen, der zur Zerrissenheit neigt …«
    Wegen Hélène versuchen sie zu flüstern, doch sie sind so aufgebracht, daß sie ihre Stimmen nicht zu mäßigen vermögen. Das ist zu aufregend, ein Mörder unter ihnen, in ihrer Stadt, und nicht irgend jemand, sondern ein bekannter Unternehmer. Hélènes Kollegin fragt sie, ob sie lieber nach Hause gehen möchte, erbietet sich, an diesem Nachmittag ihre Arbeit zu übernehmen, doch Hélène lehnt ab. Sie sagt nur, sie würde sich lieber unerledigten Arbeiten im Archiv widmen und ihrer Kollegin – Marianne – die Ausleihe überlassen.
    Ich bleibe da und höre zu. Ich denke an meine arme Yvette, die vollständig aufgewühlt sein muß. Und an Virginie, wenn sie es erfahren wird.

    Hélène hat schnell Fleischbuletten und Püree gemacht. Virginie, die offenbar nichts ahnt, spielt in ihrem Zimmer. Paul sieht sich die Regionalnachrichten an. Als er nach Hause kam, ist Hélène ihm entgegengelaufen. Ich nehme an, er hat sie in die Arme geschlossen, denn für eine Weile herrschte Stille. Dann hat er gesagt: ›Ich mache mir einen Drink, ich bin völlig fertig.‹ Ich habe gehört, wie er sich Whisky einschenkte, dann das Klirren der Eiswürfel, und anschließend wie sich jemand auf die Couch fallen läßt.
    »Na, Lise, haben Sie gesehen? Wenn das keine Überraschung ist … Wirklich unglaublich.«
    Es gibt Augenblicke, in denen ich fast froh bin, nicht reagieren zu können. Unerschütterlich zu bleiben. Im Fernsehen wiederholen sie den Bericht vom Mittag. Hélène hantiert in der Küche.
    »Virginie! Essen!«
    »Hast du es ihr gesagt?« fragt Paul leise.
    »Nein, ich hatte nicht die Kraft.«
    »Wir müssen es ihr sagen.«
    »Aber, Paul, wenn sie erfährt, was man Stéphane zur Last legt …«
    »Man darf die Wahrheit nicht vor den Kindern verbergen.«
    »Worüber redet ihr, sag, Papa?«
    Virginie kommt angelaufen.
    »Hör zu, mein Liebling, über Stéphane.«
    »Ist er zurückgekommen?«
    »Nein, nicht wirklich. Er … er hatte einen Unfall«, antwortet Paul mit sanfter Stimme, mit jener Stimme, die er hat, wenn er mit seiner Tochter spricht und die mich anfangs so sehr betört hat.
    »Ist er im Krankenhaus?«
    »Er ist tot, mein Liebling. Er ist jetzt im Himmel.«
    »Ist er bei Renaud? Der hat’s gut!«
    Betretenes Schweigen. Wann werden sie sich endlich der Tatsache stellen, daß dieses Kind psychologische Hilfe braucht?
    »Was hatte er für einen Unfall?«
    »Einen Autounfall.«
    »In der Schule sagen sie, daß er die anderen getötet hat …«
    »Was?« ruft Hélène aus.
    »Ja, aber ich weiß, daß das nicht stimmt, also ist es mir egal. Was gibt es heute zu essen?«
    »Püree und Fleischbuletten«, antwortet Hélène wie abgespult.
    »Super!«
    Alle kauen wir ohne Appetit auf unseren Frikadellen herum, außer Virginie, die sich mit Heißhunger darüber hermacht.
    Nach dem Essen kommt sie zu mir, um mir gute Nacht zu sagen und flüstert:
    »Heute Abend werde ich Renaud rufen, um zu hören, ob er Stéphane gesehen hat. Vielleicht muß man ihm helfen hinaufzukommen … Gute Nacht!«
    Sollte ich mich eines Tages wieder bewegen können, werde ich mir dieses Gör schnappen und es so lange quälen, bis es die Wahrheit gesteht.
    Wie spät ist es? Ich bin vor Schreck aufgewacht. Ich habe nicht das Gefühl, daß es schon Morgen ist. Alles ist noch so ruhig. Wovon bin ich aufgewacht? Ich

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