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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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warum, zum Rangierbahnhof gegangen und an den Gleisen entlanggelaufen. Hat er das Gleichgewicht verloren? Auf alle Fälle tauchte Joris plötzlich vor dem 22-Uhr-Zug auf, der in vollem Tempo einfuhr. Der Zugführer hatte nicht einmal Zeit zu bremsen; das arme Kind war auf der Stelle tot. Sie haben es gerade im Radio durchgegeben. Auf dieser Stadt lastet wirklich ein Fluch! Ich leere das nur schnell aus, ich bin gleich zurück.«
    Sie verläßt das Zimmer, ich liege wie versteinert in meinem Bett.
    Die Bestie hat also wieder zugeschlagen, da bin ich mir ganz sicher. Ein Zufall kann das nicht mehr sein. Schon wieder ein Kind, und rein zufällig wird es derart durch den Zug verstümmelt, daß man nie erfahren wird, was wirklich passiert ist. Ein Kind, das für sein Alter recht klein war, so daß der Mörder es für jünger halten konnte, das heißt, es gehörte zu seiner bevorzugten Gruppe. Rein zufällig war Paul gestern Abend unterwegs. Und Guillaume ebenfalls. Wie schnell sie beide bereit waren, nach Hélène zu suchen! Woher soll ich wissen, wann Paul nach Hause gekommen ist? Mal überlegen, er muß gegen 21.30 Uhr hier geläutet haben. Und Guillaume ist um 22.30 Uhr zurückgekommen, die Unterhaltungssendung war gerade zu Ende. Sie hätten also beide um 22 Uhr am Bahnhof sein können. Nachts braucht man mit dem Wagen nicht mal fünf Minuten. Aber niemand konnte ahnen, daß Joris dort vorbeigehen würde … Außer, der Mörder wäre langsam am Kino vorbeigefahren, hätte unter den herauskommenden Zuschauern sein Opfer entdeckt, wäre ihm gefolgt und hätte einen geeigneten Augenblick abgepaßt.
    Guillaume war durchnäßt, als er nach Hause kam. Warum, wenn er nicht aus dem Wagen gestiegen ist? Und Paul, war Paul ebenfalls naß? Ich spüre, daß ich ganz nahe an der Lösung bin, ich bin sicherlich auf der richtigen Spur.
    Yvette kommt zurück, und während sie mich anzieht, grübele ich ununterbrochen weiter.
    Später schaut Raybaud vorbei, und ich führe ihm meine fliegende Hand vor. Er drückt auf meine Finger, tastet die Handfläche ab, reißt mir fast den Daumen aus.
    »Sehr gut, sehr gut, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen …«
    Danke, Chef!
    »Ich werde mit Combré sprechen. Meiner Ansicht nach ist das ein gutes Zeichen. Ich will natürlich nicht zuviel versprechen, aber wenn die Beweglichkeit ganz spontan zurückgekommen ist … Jetzt müssen wir mit ihren Fingern arbeiten, ich bin sicher, die wird sie auch bald bewegen können. Ich glaube, ich verschreibe ihr am besten eine Elektrotherapie …«
    Er konzentriert sich ganz auf das Schreiben des Rezepts. Yvette drückt meine Schulter. Ich hebe und senke die Hand wie ein braver, vor Freude winselnder Hund, der seinem Herrschen immer wieder den Ball apportiert. Und Raybaud? Wäre er in der Lage, Kinder zu töten? Sein Skalpell in ihr Fleisch zu bohren? Grauenvolle Bilder von verstümmelten Körpern tauchen vor meinem inneren Auge auf; ich zwinge mich, in Gedanken einen großen schwarzen Vorhang vor diese unerträglichen Bilder zu ziehen und mich ganz auf meine Finger zu konzentrieren. So, jetzt sind die häßlichen Bilder verschwunden.
    »Gut, halten Sie mich auf dem laufenden, bis bald«, verabschiedet sich Raybaud.
    »Ich bin so glücklich«, meint Yvette und küßt mich auf die Wange.
    Und ich denke: Schnell, die Regionalnachrichten!
    Die Zeit will nicht vergehen. Ich warte darauf, daß Yssart, Hélène oder sonst irgend jemand vorbeikommt. Endlich, die Nachrichten! »Grauenvoller Unfall … Körper konnte nur anhand eines Armbands, in das der Name des Opfers eingraviert war, identifiziert werden … Der Vater ist am Boden zerstört … Was hatte Joris zu dieser späten Stunde im strömenden Regen in diesem verrufenen Viertel zu suchen …? Zugführer steht unter Schock … Der Bahnverkehr war für zwei Stunden unterbrochen … Und jetzt der Wetterbericht: Endlich wieder Sonnenschein! «
    Beim Essen herrscht bedrücktes Schweigen. Kalbsleber mit grünen Bohnen. Für mich püriert. Welch ein Genuß! Jetzt versteh ich die Kinder besser, die sich sträuben, ihre Fertigkostgläschen zu essen.
    Joris Chabrol. Das sechste Opfer des besessenen Mörders. Kommen denn da keinem Zweifel? Oder bin ich jetzt total verrückt geworden?
    »Ein wenig Sonne wird uns guttun«, brummt Yvette, während sie den Tisch abräumt.
    War Paul vor 22 Uhr zu Hause? Das könnte nur Virginie sagen, aber niemand wird sie fragen. Und ich kann es nicht. Warum habe ich eigentlich nicht Karriere

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