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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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das Gefühl, ein Feuerstrahl durchzuckt meine Muskeln, ich spüre ihn bis in die Handgelenke.
    »So, krümmen! Eins-zwei, eins-zwei!«
    Der Strahl läuft unter meiner Haut entlang, und meine ganze Hand ist ein einziger Schmerz, ein köstlicher Schmerz, ein lebendiger Schmerz! Lebendig!
    Wir sind fertig. Catherine die Große packt ihre Sachen, hebt mich in den Rollstuhl und wischt mir das Gesicht ab.
    »Sie hat geschwitzt, das heißt, daß sich etwas bewegt«, meint sie zu Yvette. »Also, ich gehe. Bis morgen.«
    Ich bleibe allein zurück. Ich unterhalte mich, indem ich in meinem Rollstuhl herumfahre, den ich jetzt viel besser bedienen kann. Ich hebe die Hand und schlage mit aller Kraft auf die Bedienungsknöpfe, das ist super! Der Rollstuhl macht einen Satz nach vorne, nach hinten.
    Ich höre Yvette hinter mir seufzen, ohne daß sie etwas zu sagen wagt; ich fühle mich, als wäre ich vier Jahre alt. Um mich herum nur Katastrophen, ganze Familien zerbrechen, und ich mache Fortschritte, tauche wieder an der Oberfläche des Lebens auf … Natürlich habe ich andere Empfindungen als die Mitmenschen in meiner Umgebung, aber was kann ich dafür? Soll ich mir etwa Hoffnung und Freude verbieten?

12
    Sie haben den kleinen Joris beerdigt. Noch einen. Noch ein kleiner Sarg. Allein schon bei dem Gedanken wird mir übel. Und niemand ahnt etwas!
    Draußen tobt ein furchtbarer Sturm. Man könnte meinen, ein Riese mache sich einen Spaß daraus, die Bäume zu schütteln. Trübsinniges Wetter, man hört das Rauschen der feuchten Blätter. Yvette ist einkaufen gegangen und hat mir eine Literatur-Kassette in den Recorder eingelegt. Bestie Mensch von Zola. Ich liebe Zola, aber der Titel ist unter den gegebenen Umständen nicht gerade geschmackvoll. Guillaume hat mir die Kassette neulich abends geschenkt. Ich habe mich wirklich gefreut. Aber ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob vielleicht er der Mörder ist und die Absicht hatte, mich zu verspotten. Was ist denn nun wieder los? Das Band ist stehengeblieben, mitten im Satz. Ach, das geht mir wirklich auf die Nerven! Ich kann nichts unternehmen und muß warten, bis Yvette zurückkommt. Hm, da kommt ja jemand. Nein, doch nicht. Was ist nun wieder mit dem Kassettenrecorder los? Es knackt mehrmals. So ein blöder Apparat. Ah, es geht weiter.
    »Es war kein Vergnügen, keine Freude, es war notwendig, unumgänglich, ich mußte sie töten, ich mußte sie an mich drücken, bis sie sich nicht mehr bewegten, bis sie ihren Frieden hatten …«
    Komisch, an diese Passage erinnere ich mich gar nicht …
    »… Ausschau halten, um seine Opfer auszuwählen … sich die weiche Haut vorstellen, so weich, sie ans Herz drücken, ihren Schrei hören, exakt den Moment abwarten, in dem das Leben aus ihrem kleinen Körper weicht, in dem sie wie eine Stoffpuppe sind, leblos. Wie ist das nur möglich, wie kann man sterben? Wie kann man in einem Augenblick warm und weich sein und im nächsten kalt und starr? Stirbt man wirklich …?«
    Was hat das zu bedeuten?
    »… Wie kann man das wissen? Nur, indem man sich in einem ruhigen Vorort unter den braven Bürgern niederläßt, über den Regen und das schöne Wetter plaudert, seinen Clubbeitrag bezahlt, seinen Rasen mäht und sich im Spiegel zulächelt, ein blutbeflecktes Lächeln, und dabei betastet man seine Schätze, meine kostbaren Schätze, die ich meinen kleinen Engeln abgenommen habe … Meinen kleinen Spendern …«
    Mein Gott, das ist eine andere Kassette! Und die Stimme ist auch nicht dieselbe. Diese klingt rauh, metallisch, verfälscht, ja, eine elektronisch verfremdete Stimme und was sie erzählt … Das ist doch ganz unmöglich, und doch …
    »… Man könnte meinen, daß es Haß oder Sadismus war, aber ich habe sie geliebt. Ich wollte sie liebhaben, sie festhalten, sie an mich drücken, sie küssen, doch sie wollen nicht, sie wehren sich, sie versuchen zu entkommen, sie begreifen nicht, daß ich ihnen nur helfen will, Frieden zu finden …«
    Nein! Ich will das nicht hören! Aber wer hat dieses Band in den Recorder gelegt?
    »… aber niemand versteht es. Man muß sich verstecken, den Rollstuhl der armen Elise Andrioli schieben und dabei denken, wie köstlich es wäre, ihr mit einem Skalpell den Bauch aufzuschlitzen, mit den Händen in die Wunde zu fahren und zu wissen, daß sie nicht schreien oder sich wehren kann, und ihr, ganz sanft, das Herz herausreißen … zusehen, wie ihr Mund sich mit Blut füllt, wie sie langsam stirbt, und dabei, o

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